Titel

VG Schwerin, Beschluss vom 22.07.2010, Az. 1 A 685/08
Zuständigkeit für die rechtliche Überprüfung der Art und Weise des Gewahrsams

 


Zitiervorschlag: VG Schwerin, Beschluss vom 22.07.2010, Az. 1 A 685/08, zitiert nach POR-RAV


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Die Zuständigkeit des § 65 Abs. 5 SOG M-V umfasst auch Fragen der Rechtmäßigkeit einzelner Vollzugsmaßnahmen.

Leitsatz

Die ordentlichen Gerichte sind für Fragen des Vollzugs der Freiheitsentziehung jedenfalls dann zuständig, wenn während des Gewahrsams eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung ergangen ist.

Volltext

TENOR

Der Rechtsweg zu den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist unzulässig. Der Rechtsstreit wird an das zuständige Amtsgericht Rostock verwiesen. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

GRÜNDE

Die Entscheidung über die Verweisung beruht auf § 17a Abs. 2 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Für den vorliegenden Rechtsstreit ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten und nicht der beschrittene Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet.

Gemäß § 40 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist der Verwaltungsrechtsweg eröff¬net in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundes- oder Landesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Vorliegend ist eine derartige “abdrängende Sonderzuweisung“ gegeben.

Nach Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG bedarf es in den Fällen der Freiheitsentziehung einer gerichtlichen Entscheidung. Zwar sind Streitigkeiten über die Zulässigkeit einer polizeilichen Freiheitsentziehungsmaßnahme öffentlich-rechtlicher Natur und damit an sich Sache der Verwaltungsgerichte gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO; die Polizeigesetze aller Bundesländer erklären jedoch die Amtsgerichte (hier: § 56 Abs. 5 Satz 4 und 5 SOG M-V) für sachlich zuständig. Diese Lösung ist deshalb gewählt worden, weil die Amtsgerichte im Allgemeinen ortsnäher als die Verwaltungsgerichte sind und auch sonst über Freiheitsentziehungen entscheiden (vgl. Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl., Kap. F, Rn. 601). Die vorgenannte landesrechtliche Regelung stellt dabei eine so genannte abdrängende Sonderzuweisung im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO dar, wonach öffentlich-rechtliche Streitigkeiten auf dem Gebiet des Landesrechts auch durch Landesgesetz einem anderen als dem Verwaltungsgericht zugewiesen werden können.

Die landesgesetzliche Vorschrift regelt zwar ausdrücklich nur den Fall, dass die Polizei über die Zulässigkeit und Fortdauer eines polizeilichen Gewahrsams unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen hat, für die das Amtsgericht zuständig ist, in dessen Bezirk die Person in Gewahrsam genommen worden ist. Nach Auffassung der Kammer bleibt die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit begründet, wenn -wie hier am 7. Juni 2007 (AG Rostock 1 XIV 259/07) - über die Zulässigkeit und Fortdauer des Gewahrsams eine richterliche Entscheidung herbeigeführt worden ist und die Beteiligten lediglich über die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen während der Freiheitsentziehung streiten (vgl. OVG M-V Beschl. v. 21. Januar 2010 - 3 0 27/09 -).

Für begleitende Maßnahmen wie Feststellung, Durchsuchung, Unterbringungsmängel und Be¬hinderungen des Anwaltskontaktes etc. ist der Verwaltungsrechtsweg vorliegend nicht eröffnet. Zwar trifft es zu, dass die Frage der Anordnung der Ingewahrsahmnahme und deren Vollzug grundsätzlich voneinander zu trennen sind. Damit ist freilich nichts für die Beantwortung der Rechtswegfrage gewonnen, welche Fachgerichtsbarkeit für die Überprüfung geltend gemachter Vollzugsmängel Rechtswegzuständig ist. Jedoch hat das Bundesverfassungsgericht in diesem Zusammenhang bereits dargelegt, dass der Einwand der ordentlichen Gerichtsbarkeit, die landesrechtliche Vorschrift lasse eine erweiterte Prüfung von Vollzugsmängeln im Hinblick auf die Rechtswegszuweisung nicht zu, nicht trage (vgl. BVerfG, Beschl. v. 13.12.2005 - 2 BVR 447/05 -‚ NVwZ 2006, 579). Dabei hat das Bundesverfassungsgericht offengelassen, ob sich die Rechtswegszuweisung für die Überprüfung des Vollzugs des Gewahrsams aus einer großzügigen Auslegung der landesrechtlichen Norm oder aber aus der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit kraft Sachzusammenhangs ergebe. Aus der Zuständigkeit für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Gewahrsams an sich folgt nach alledem auch die Zuständigkeit für die Überprüfung des Vollzugs des Gewahrsams. Beide Ebenen gehören - auch wenn sie einer unterschiedlichen inhaltlichen Prüfung unterliegen - im Rahmen der Zuständigkeitsfrage untrennbar zusammen. Daraus ergibt sich für die Kammer, dass nach dem oben Gesagten die ordentliche Gerichtsbarkeit ebenfalls für die Überprüfung des Vollzugs des Gewahrsams Rechtswegzuständig ist bzw. bleibt, wenn sie zur Zulässigkeit und Fortdauer des Gewahrsams entschieden hat.

Deswegen ist über das Begehren der Klägerin im gerichtlichen Verfahren nach dem FEVG zu ent¬scheiden. Zuständig ist das Amtsgericht Rostock (~ 3,4 FEVG). Der Rechtsstreit ist daher nach zwischenzeitlich erfolgter Anhörung der Beteiligten gemäß § 17a Abs. 2 GVG an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges zu verweisen.

Die Kostenentscheidung ist gemäß § 17b Abs. 2 Satz 1 GVG der Schlussentscheidung vorbehalten.