Titel

VG Hamburg, Urteil vom 10.11.2020, Az. 20 K 1515/17


Anlasslose polizeiliche Identitätsfeststellungen rechtswidrig

 


Zitiervorschlag: VG Hamburg, Urteil vom 10.11.2020, Az. 20 K 1515/17, zitiert nach POR-RAV


Beschluss noch nicht rechtskräftig!
Letzte Bearbeitung: 24.02.2021, 21:27

Teaser

Auch die hanseatische Polizei darf Menschen nicht kontrollieren wie sie will.

Das gilt ebenso an Orten, die die Polizei selbst für "gefährlich" erklärt hat.

Leitsatz

1. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist zulässig bei Maßnahmen, die sich typischerweise so kurzfristig erledigen, dass sie ohne die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses regelmäßig keiner gerichtlichen Überprüfung mehr zugänglich wären.

2. Das Fortsetzungsfeststellungsinteresse kann auch wegen Wiederholungsgefahr bestehen, wenn ein Anwohner in seinem Stadtteil auf der Strasse häufig kontrolliert wird.

3. Die Anscheinsgefahr einer bevorstehenden Straftat besteht nicht bei alltäglichen Verhaltensweisen.

4. Fraglich ist, ob ein flächenmäßig definierter Teil eines Stadtteils ein "gefährlicher Ort" im polizeirechtlichen Sinne sein kann.

Volltext

TENOR

I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.

II. Es wird festgestellt, dass die am 9. Januar 2017 in der Silbersackstraße durchgeführte Identitätsfeststellung des Klägers rechtswidrig gewesen ist.

Es wird festgestellt, dass die am 15. November 2017 in der Balduinstraße durchgeführte Identitätsfeststellung des Klägers rechtswidrig gewesen ist.

Es wird festgestellt, dass die am 25. April 2018 in der Silbersackstraße durchgeführte Identitätsfeststellung des Klägers rechtswidrig gewesen ist.

Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu ¼ und die Beklagte zu ¾.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar, für den Kläger hinsichtlich ⅔ der für ihn vollstreckbaren Kosten jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

III. Die Berufung wird zugelassen.

TATBESTAND

Der Kläger, ein im südlichen Teil des Hamburger Stadtteils St. Pauli wohnhafter togoischer Staatsangehöriger mit dunkler Hautfarbe, begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit mehrerer gegen ihn gerichteter polizeilicher Identitätsfeststellungen.

Am 15. November 2016 gegen 11:30 Uhr wurde der Kläger an der Kreuzung Reeperbahn/Talstraße von Polizeibeamten angehalten, nachdem er mit seinem Fahrrad über den Gehweg gefahren war. Die Polizeibeamten forderten den Kläger auf, sich auszuweisen, und verbrachten ihn schließlich mit Handschellen gefesselt zum Polizeikommissariat 15 („Davidwache“, im Folgenden: PK 15).

Am 9. Januar 2017 gegen 18:00 Uhr wurde der Kläger in der Silbersackstraße erneut von Polizeibeamten angehalten. Der Aufforderung, sich auszuweisen, kam er nach.

Am 15. November 2017 gegen 16:15 Uhr ging der Kläger mit einem Bekannten, dem Zeugen R., die Balduinstraße in Richtung Süden entlang. Dort begegneten sie zwei uniformierten Polizeibeamten, den Zeugen S. und E. Der Zeuge S. hielt den Kläger und den Zeugen R. an und forderte diese auf, sich auszuweisen. Nach anfänglicher Weigerung kamen die beiden der Aufforderung schließlich nach.

Am 25. April 2018 gegen 21:30 Uhr wurde der Kläger in der Silbersackstraße erneut von zwei uniformierten Polizeibeamten, dem Zeugen W. und der Zeugin H., angehalten und aufgefordert, sich auszuweisen. Nachdem der Kläger dies verweigert hatte, wurde er erneut mit Handschellen gefesselt und zum PK 15 verbracht.

Bereits am 6. Februar 2017 hat der Kläger wegen der Vorfälle vom 15. November 2016 und 9. Januar 2017 Klage erhoben. Hinsichtlich des Vorfalls vom 9. Januar 2017 hat die Beklagte den auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Identitätsfeststellung gerichteten Klageantrag mit Schriftsatz vom 31. August 2017 anerkannt.

Mit Schriftsätzen vom 27. November 2017 und 31. Mai 2018 hat der Kläger seine Klage auf die Vorfälle vom 15. November 2017 und 25. April 2018 erweitert.

Hinsichtlich des Vorfalls vom 15. November 2016 hat der Kläger seinen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Identitätsfeststellung, der Fesselung sowie der Verbringung zum PK 15 gerichteten Klageantrag im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 10. November 2020 zurückgenommen.

Zur Begründung seiner Klage hinsichtlich des Vorfalls vom 15. November 2017 trägt der Kläger vor, der Zeuge R. und er hätten sich an diesem Nachmittag auf dem Heimweg vom Sport befunden, als sie in der Balduinstraße von zwei ihnen entgegengehenden Polizeibeamten angehalten und aufgefordert worden seien, sich auszuweisen. Einen Grund hierfür hätten die Beamten nicht genannt. Er, der Kläger, habe die Maßnahme als „racial profiling“ beanstandet und den Beamten mitgeteilt, dass er kein Drogendealer sei, sondern im Stadtteil wohne, vom Sport käme und nur nachhause wolle. Um dies zu bekräftigen, habe er seine Sporttasche geöffnet und den Beamten deren Inhalt gezeigt, nämlich verschwitzte Sportkleidung sowie Obst und Gemüse, das er nach dem Sport eingekauft habe. Die Beamten hätten jedoch auf der Durchführung der Identitätsfeststellung bestanden.

Diese Identitätsfeststellung sei rechtswidrig gewesen. Zunächst habe eine für § 4 Abs. 1 Nr. 1 PolDVG a. F. erforderliche Gefahr nicht vorgelegen. Selbst wenn die Behauptung der Beklagten, dass er und der Zeuge R. sich mehrfach umgedreht und ihren Gang beschleunigt hätten, zuträfe, ergebe sich hieraus noch keine Sachlage, die auf die unmittelbar bevorstehende Begehung einer Straftat gegen das Betäubungsmittelgesetz hindeute. In jedem Fall seien die tatbestandlichen Voraussetzungen spätestens entfallen, als er, der Kläger, und der Zeuge R. die Polizeibeamten übereinstimmend darauf hingewiesen hätten, dass sie im Stadtteil wohnten und vom Sport kämen. Es sei lebensfremd anzunehmen, dass sich so eine Person verhalte, die im Begriff sei, eine Straftat zu begehen.

Die Maßnahme habe jedenfalls in Ermangelung einer Gefahr abgebrochen werden müssen, als er, der Kläger, seine Sporttasche geöffnet und den Polizeibeamten ihren Inhalt gezeigt habe. Die Identitätsfeststellung erweise sich zudem als ermessensfehlerhaft. Sie sei zur Gefahrenabwehr bereits ungeeignet, nicht erforderlich und jedenfalls auch im engeren Sinne unverhältnismäßig gewesen, da sie insbesondere für ihn, den Kläger, einen ganz erheblichen Grundrechtseingriff bedeutet habe.

Ermessensfehlerhaft sei die Maßnahme darüber hinaus deshalb, weil die Beamten unter Verletzung von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG an seine Hautfarbe und Herkunft angeknüpft hätten. Eine grundsätzlich verbotene Diskriminierung liege insoweit bereits vor, wenn eine Maßnahme neben anderen Gründen in einem Motivbündel auch an ein in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG genanntes Merkmal anknüpfe. Die Diskriminierung lasse sich auch nicht durch kollidierendes Verfassungsrecht rechtfertigen. Insbesondere bestünden erhebliche verfassungsrechtliche und methodische Zweifel an dem Ansinnen, die Eignung von „racial profiling“ im Rahmen der Gefahrenabwehr mittels Statistiken oder Lagebildern rechtfertigen zu wollen, da diese von erheblichen Verzerrungsfaktoren betroffen seien.

Schließlich habe die Identitätsfeststellung auch nicht gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) PolDVG a. F. erfolgen dürfen. Angesichts der Größe des polizeilich ausgewiesenen „Gefährlichen Orts PK 15 BtM“ begegne die Vorschrift nunmehr denselben verfassungsrechtlichen Bedenken, wegen derer das Hamburgische Oberverwaltungsgericht die mittlerweile gestrichene Regelung des § 4 Abs. 2 Satz 1 PolDVG a. F., die die Polizei zur Ausweisung sog. Gefahrengebiete ermächtigt hatte, im Jahr 2015 als verfassungswidrig angesehen habe. Jedenfalls widerspreche die Auslegung des Begriffs „Ort“, die die Beklagte zugrunde lege, dem Wortlaut und dem allgemeinen Sprachverständnis. Auch seien die von der Beklagten vorgelegten polizeilichen Statistiken unbrauchbar, da diese nicht die tatsächlich begangenen Straftaten, sondern lediglich die Fälle abbildeten, in denen aus polizeilicher Sicht ein Tatverdacht bestanden habe. Dies gelte insbesondere im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität als sog. Kontrollkriminalität, so dass im Ergebnis lediglich der Ressourceneinsatz der Polizei, nicht jedoch die tatsächliche Kriminalitätsbelastung reflektiert werde.

Hinzu komme, dass es sich bei den von der Beklagten in Bezug genommenen Straftaten überwiegend nicht um solche „von erheblicher Bedeutung“ handele, sondern vielmehr um Bagatelldelikte wie etwa den im Rahmen einer Kontrolle festgestellten Besitz von weniger als einem Gramm Marihuana zum Eigenkonsum. Schließlich habe die Beklagte versäumt darzulegen, zu welchen Uhr- bzw. Tageszeiten die statistisch erfassten vermeintlichen Straftaten festgestellt worden seien. Eine Kontrolle am Nachmittag, also außerhalb des Kernzeitraums der Frequentierung von St. Pauli als Vergnügungsviertel, sei bereits deshalb als unverhältnismäßig anzusehen. In jedem Fall folge die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme daraus, dass er, der Kläger, selbst bei Zugrundelegung der Behauptungen der Beklagten, nicht die von dieser vorgetragenen zielgruppenspezifischen Verhaltensweisen – namentlich ein verdecktes Zusammenstehen mit anderen Personen oder szenetypische Austauschhandlungen – gezeigt habe. Schließlich sei die Identitätsfeststellung auch auf dieser Rechtsgrundlage wegen der ungerechtfertigten Anknüpfung an Hautfarbe und Herkunft ermessensfehlerhaft gewesen.

Betreffend den Vorfall vom 25. April 2018 behauptet der Kläger, er habe sich auf dem Heimweg befunden, als ihm in der Silbersackstraße zwei Polizeibeamte in gelben Warnwesten entgegengekommen seien und ihn auf Höhe des Spielplatzes des Nachbarschaftsheims St. Pauli ohne Grund angehalten hätten. Er habe den Polizeibeamten gegenüber geäußert, dass es keinen Grund gebe, ihn anzuhalten, und dass es sich um eine diskriminierende Kontrolle handele. Auch diese Identitätsfeststellung sei rechtswidrig erfolgt. Die Ausführungen zum Vorfall vom 15. November 2017 seien insoweit übertragbar. Ergänzend sei auszuführen, dass auch insoweit eine Gefahrenlage – für jeden unvoreingenommenen und besonnenen Polizeibeamten erkennbar – nicht bestanden habe. Die Berichte der handelnden Polizeibeamten, die auf sein „äußerliches Erscheinungsbild“ und seine Eigenschaft als „Schwarzafrikaner“ Bezug nähmen, legten bereits nahe, dass sich die Polizeibeamten bei der Maßnahme an seiner Hautfarbe orientiert hätten. Doch auch die Behauptung, er habe zwei weiteren Personen zugewandt gestanden und sich anschließend von diesen getrennt, begründe keine polizeirechtliche Gefahr, die ein polizeiliches Einschreiten rechtfertigen könnte.

Der Kläger beantragt,

1. festzustellen, dass die am 9. Januar 2017 in der Silbersackstraße durchgeführte Identitätsfeststellung des Klägers rechtswidrig war,

2. festzustellen, dass die am 15. November 2017 gegen 16:00 Uhr in der Balduinstraße durchgeführte Identitätsfeststellung des Klägers rechtswidrig war und

3. festzustellen, dass die am 25. April 2018 gegen 21:30 Uhr in der Silbersackstraße in Hamburg-St. Pauli durchgeführte Identitätsfeststellung des Klägers rechtswidrig war.

Die Beklagte hat den Antrag zu 1) mit Schriftsatz vom 31. August 2017 anerkannt. Da kein weiteres Verhalten des Klägers bzw. eine sonstige Auffälligkeit vorgelegen habe, sei die Maßnahme jedenfalls aus Verhältnismäßigkeitsgründen rechtswidrig gewesen.

Im Übrigen beantragt sie,

- die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat der Klageerweiterung um die Anträge zu 2) und 3) widersprochen.

Betreffend den Vorfall am 15. November 2017 nimmt die Beklagte hinsichtlich des tatsächlichen Geschehensablaufs vollumfänglich auf die Sachakte Bezug. Demnach habe einer der eingesetzten Beamten, der Zeuge S., beobachtet, wie der Kläger und der Zeuge R. von der Silbersackstraße kommend in Richtung Balduinstraße gegangen seien. Gemäß den Feststellungen des Beamten hätten sich die beiden Personen konspirativ verhalten, da sie sich mehrmals umgedreht hätten und sehr eng nebeneinander gelaufen seien. Der Beamte habe wahrgenommen, dass die beiden Personen bei Erblicken der beiden uniformierten Beamten ihren Gang deutlich beschleunigt und hektische Bewegungen an ihren Sporttaschen vorgenommen hätten.

Sie ist der Auffassung, die Identitätsfeststellung sei rechtmäßig gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 PolDVG a. F. erfolgt. Angesichts des Verhaltens des Klägers und des Zeugen R. sowie des Umstandes, dass an diesem Ort vermehrt Betäubungsmitteldelikte begangen würden, habe eine Anscheinsgefahr vorgelegen. Die Beamten seien dem Auftrag gefolgt, präventiv Personen zu überprüfen, die sich konspirativ verhalten würden. In der internen Anweisung der Polizei Hamburg zur Bekämpfung der öffentlich wahrnehmbaren Drogenkriminalität und deren Auswirkungen werde unter Punkt 2.2 und 2.3 ausgeführt, dass sowohl Drogendealer als auch Drogenkonsumenten konspiratives Verhalten wie die Sicherung nach allen Seiten sowie enges abgeschirmtes und verdecktes Zusammenstehen mit anderen Personen zeigten. Drogendealer erweckten zudem den Anschein, dass szenetypische Austauschhandlungen, namentlich von Geld und bzw. oder rauschmittelverdächtigen Substanzen, vorgenommen würden. Dies sei den handelnden Polizeibeamten bekannt gewesen.

Die Identitätsfeststellung sei auch zur Gefahrenabwehr geeignet, erforderlich und angemessen gewesen. Das Gewicht des Grundrechtseingriffs sei verhältnismäßig gering, da die Identitätsfeststellung weder heimlich noch anlasslos erfolgt sei und die Persönlichkeitsrelevanz der im Zusammenhang mit einer Identitätsfeststellung erhobenen Informationen von vornherein begrenzt sei. Die Maßnahme sei nicht auf phänotypische Verdachtsmerkmale gestützt worden, sondern allein auf das auffällige Verhalten des Klägers und des Zeugen R. sowie die Erkenntnisse über den Ort, an dem diese angetroffen worden seien. Doch selbst wenn die einschreitenden Beamten ihre Maßnahme auch an die dunkle Hautfarbe des Klägers angeknüpft haben sollten, ließe sich dies rechtfertigen. So habe sich polizeilichen Erkenntnissen zufolge u.a. der Bereich St. Pauli Hafenstraße, Balduintreppe und Bernhard-Nocht-Straße zu einem Schwerpunktgebiet des Betäubungsmittelhandels, insbesondere des Handels mit Marihuana, durch Personen überwiegend westafrikanischer Herkunft entwickelt. Dies gehe aus zwei Stellungnahmen des PK 15 und des LKA 6011, der „Zuführliste“ des für den „Straßendeal“ zuständigen LKA 68 sowie den eigenen Daten der Polizei über erfasste Straftaten hervor.

Hilfsweise habe die Maßnahme auch nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) PolDVG a. F. rechtmäßig erfolgen dürfen. Beim Straßenzug Silbersackstraße/Balduinstraße, in dem der Kläger angetroffen worden sei, handele es sich um einen „gefährlichen Ort“ im Sinne der Vorschrift, da dort vermehrt Straftaten wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz begangen würden. Der Straßenzug befinde sich einerseits im sog. „Gefährlichen Ort PK 15 BTM“, einem Bereich von 0,371 Quadratkilometern Größe, sei aber auch für sich genommen angesichts der Anzahl der dort festgestellten Betäubungsmitteldelikte als „gefährlicher Ort“ anzusehen, ohne dass auf den „Gefährlichen Ort PK 15 BtM“ als Ganzen abgestellt werden müsse. Im Hinblick auf die Ermessensausübung gelte schließlich dasselbe wie in Bezug auf § 4 Abs. 1 Nr. 1 PolDVG a. F. Ferner sei § 4 Abs. 1 Nr. 2 PolDVG a. F. auch verfassungsgemäß. Die Vorschrift verstoße insbesondere nicht gegen den Wesentlichkeitsgrundsatz bzw. das Bestimmtheitsgebot, da der Gesetzgeber Anlass, Zweck und Grenzen des mit einer Identitätskontrolle erfolgenden Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung hinreichend klar festgelegt habe. Insoweit mache sie, die Beklagte, sich die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg sowie des Verwaltungsgerichts Berlin zu den jeweiligen landesrechtlichen Parallelvorschriften zu eigen. Die Vorschrift lasse nicht zu, dass sich jedermann jederzeit ohne Anlass auszuweisen habe. Vielmehr knüpfe der Gesetzgeber die Eingriffsbefugnis an den Aufenthalt an einem gefährlichen Ort.

Der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sei auch verhältnismäßig. Die Norm diene der Verhütung von Straftaten an Orten, an denen eine besonders hohe Wahrscheinlichkeit dafür bestehe, Gefahrenverursacher anzutreffen, und damit den Interessen der Allgemeinheit, ein möglichst großes Maß an Sicherheit zu erreichen. Die Regelung sei auch nicht vergleichbar mit der Ausweisung von Gefahrengebieten nach § 4 Abs. 2 PolDVG a. F. Diese Vorschrift habe keine konkrete Gefahr verlangt, sondern lediglich auf eine durch das Gesetz nicht näher determinierte und nicht überprüfbare Bewertung der Polizei selbst abgestellt. § 4 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) PolDVG a. F. fordere hingegen das Vorliegen von Tatsachen, die Anhaltspunkte dafür gäben, dass Straftaten von erheblicher Bedeutung verabredet, vorbereitet oder verübt würden. Das Vorliegen der erforderlichen Gefahrenlage sei gerichtlich voll überprüfbar. Auch der Begriff des „Ortes“ sei hinreichend bestimmt. Dabei habe sich der Umfang des Ortes an der Notwendigkeit der Maßnahme zu orientieren. Vorliegend sei auch zu beachten, dass der „Gefährliche Ort PK 15 BtM“ nur in etwa halb so groß sei wie das zuvor ausgewiesene „BtM-Gefahrengebiet St. Pauli“. Letztlich unterliege es der vollen Kontrolle des Gerichts, ob die Ausdehnung des Ortes den gesetzlichen Anforderungen entspreche.

Betreffend den Vorfall am 25. April 2018 nimmt die Beklagte hinsichtlich des tatsächlichen Geschehensablaufs wiederum vollumfänglich auf die Sachakte Bezug. Nach den Feststellungen des die Identitätskontrolle durchführenden Beamten, des Zeugen W., habe der Kläger mit zwei weiteren Personen, einander zugewandt, in der Silbersacktwiete gestanden. Nach dem Eindruck des Zeugen W. habe sich die Gruppierung beim Anblick der uniformierten Kräfte plötzlich in unterschiedliche Richtungen aufgeteilt. Dieses Verhalten habe der Zeuge W. zum Anlass genommen, die Person, die auf ihn zugegangen sei, den Kläger, nach seiner Identität zu fragen. Diesen Anlass der Kontrolle habe der Zeuge W. dem Kläger seiner Erinnerung nach auch mitgeteilt.

Nach alledem sei auch diese Identitätsfeststellung gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 PolDVG a. F., hilfsweise gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) PolDVG a. F. rechtmäßig erfolgt. Den einschreitenden Beamten sei bekannt gewesen, dass sowohl Drogendealer als auch Drogenkonsumenten konspiratives Verhalten zeigten. Aufgrund des Verhaltens des Klägers und der vermehrten Begehung von Betäubungsmitteldelikten an diesem Ort habe daher die Anscheinsgefahr der Begehung einer Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz vorgelegen. Auch diese Maßnahme sei nicht auf phänotypische Verdachtsmerkmale gestützt worden.

Das Gericht hat zur Frage des tatsächlichen Geschehensablaufs im Zusammenhang mit den Identitätsfeststellungen am 15. November 2017 und 25. April 2018 den Kläger persönlich angehört und durch die Vernehmung der Zeugen R., S., E. und W. sowie der Zeugin H. Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschriften vom 20. Oktober und 10. November 2020 Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Sachakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

GRÜNDE

I.

Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, war das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Soweit die Beklagte den Klageantrag anerkannt hat, war sie nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 307 Satz 1 ZPO gemäß ihrem Anerkenntnis zu verurteilen (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.9.2017, 8 C 21/16, juris, Rn. 4).

II.

Soweit sich die Klage im Übrigen auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Identitätsfeststellungen vom 15. November 2017 und 25. April 2018 richtet, hat sie Erfolg. Sowohl die hiermit verbundenen Klageerweiterungen als auch die Klage als solche sind zulässig (hierzu unter 1. und 2.). Die Klage ist auch begründet (hierzu unter 3.).

1. Die mit Schriftsätzen vom 27. November 2017 bzw. 31. Mai 2018 erklärten Klageerweiterungen auf die Vorfälle vom 15. November 2017 und 25. April 2018 sind gemäß § 91 Abs. 1 Var. 2 VwGO zulässig, da die Kammer diese für sachdienlich hält. Sachdienlichkeit ist gegeben, wenn die Erweiterung der Klage der endgültigen Beilegung des sachlichen Streits zwischen den Beteiligten im laufenden Verfahren dient und der Streitstoff im Wesentlichen derselbe bleibt (BVerwG, Urt. v. 18.8.2005, 4 C 13/04, juris, Rn. 22). Ein solcher Fall liegt hier vor, da die zusätzlichen Anträge ebenso wie die ursprünglichen Feststellungsanträge die Rechtmäßigkeit von Identitätsfeststellungen gegenüber dem Kläger im Bereich des sog. „Gefährlichen Ort PK 15 BTM“ betreffen und durch deren Einbeziehung in das vorliegende Verfahren ein weiterer Rechtsstreit vermieden wird.

2. Die Klage ist zulässig.

Statthafte Klageart ist die Fortsetzungsfeststellungsklage. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ist entsprechend anzuwenden, wenn der Kläger die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines ihn belastenden Verwaltungsaktes begehrt, der sich vor Klageerhebung erledigt hat (BVerwG, Urt. v. 28.2.1961, I C 54.57, juris, Rn. 44). Dies ist hinsichtlich der hier streitgegenständlichen Identitätsfeststellungen der Fall.

Der Kläger hat auch ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung. Dieses besteht erstens vor dem Hintergrund von Art. 19 Abs. 4 GG bei sämtlichen Maßnahmen, die sich typischerweise so kurzfristig erledigen, dass sie ohne die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses regelmäßig keiner gerichtlichen Überprüfung zugänglich wären (BVerwG, Urt. v. 16.5.2013, 8 C 14/12, juris, Rn. 32). Hierunter fallen insbesondere auch polizeiliche Identitätsfeststellungen (vgl. OVG Münster, Urt. v. 7.8.2018, 5 A 294/16, juris, Rn. 23 f.). Zweitens liegt hier ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse in Gestalt eines Rehabilitierungsinteresses vor. Ein solches ist gegeben, wenn bei objektiver und vernünftiger Betrachtungsweise abträgliche Nachwirkungen der Maßnahme fortbestehen, denen durch eine gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit begegnet werden könnte (BVerwG, Urt. v. 21.3.2013, 3 C 6/12, juris, Rn. 15). Dies folgt hier bereits aus dem Umstand, dass den Identitätsfeststellungen ausweislich des eigenen Vorbringens der Beklagten jeweils der gegen den Kläger gerichtete Verdacht eines Betäubungsmitteldelikts zugrunde lag. Drittens besteht ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr. Diese Fallgruppe erfordert eine hinreichend bestimmte Gefahr, dass künftig unter im Wesentlichen unveränderten rechtlichen und tatsächlichen Umständen ein gleichartiger Verwaltungsakt erlassen wird (BVerwG, Urt. v. 18.12.2007, 6 C 47/06, juris, Rn. 13). Eine solche Gefahr ist hier angesichts der unstreitig fortbestehenden Kontrollpraxis der Beklagten im Bereich des sog. „Gefährlichen Orts PK 15 BtM“ gegeben.

Schließlich war die Durchführung von Widerspruchsverfahren im vorliegenden Fall entbehrlich, weil sich die Identitätsfeststellungen jeweils vor Ablauf der Widerspruchsfrist und Erhebung eines Widerspruchs erledigt hatten (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.2.1967, I C 49.64, juris, Rn. 16 ff.).

3. Die Klage ist auch begründet, da die Identitätsfeststellungen vom 15. November 2017 (hierzu unter a.) und 25. April 2018 (hierzu unter b.) rechtswidrig waren und den Kläger daher in seinen Rechten verletzten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO).

a) Die am 15. November 2017 gegen 16:15 Uhr in der Balduinstraße erfolgte Identitätsfeststellung des Klägers war rechtswidrig. Die Voraussetzungen der in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlagen des § 4 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 (hierzu unter aa.) und § 4 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) (hierzu unter bb.) des Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei (PolDVG) in der zum damaligen Zeitpunkt jeweils geltenden Fassung lagen nicht vor.

aa) Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 PolDVG in der seinerzeit geltenden, zuletzt durch Art. 3 des Gesetzes zur Verbesserung der Sicherheit im Hamburger Hafen vom 6. Oktober 2005 (HmbGVBl. S. 424) geänderten Fassung (nunmehr wortgleich: § 13 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 PolDVG) waren nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift durfte die Polizei die Identität einer Person feststellen, soweit dies im Einzelfall zur Abwehr einer bevorstehenden Gefahr erforderlich war. An einer solchen bevorstehenden Gefahr fehlte es hier (hierzu unter [1]), so dass offenbleiben kann, ob die Heranziehung des Klägers zur Identitätsfeststellung auch aus anderen Gründen als rechtswidrig zu werten gewesen wäre (hierzu unter [2]).

(1) Das Bestehen einer bevorstehenden Gefahr war im vorliegenden Fall zu verneinen.

Der Begriff der bevorstehenden Gefahr entspricht dem allgemeinen polizeirechtlichen Begriff der konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Beaucamp/Ettemeyer/Rogosch/Stammer, SOG/PolDVG, 2. Aufl. 2009, § 4 PolDVG, Rn. 5), wobei das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit insbesondere die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung umfasst (BVerwG, Urt. v. 28.3.2012, 6 C 12/11, juris, Rn. 23). Insoweit genügt eine sog. Anscheinsgefahr, also das Vorliegen einer Gefahr bei einer objektivierten ex ante-Betrachtung durch einen verständigen Beobachter in der Situation des handelnden Polizeibeamten (Beaucamp/Ettemeyer/Rogosch/Stammer, a.a.O., § 3 SOG, Rn. 28 f. m.w.N.). Eine bevorstehende Gefahr ist nach alledem etwa dann anzunehmen, wenn das Verhalten einer Person nahelegt, diese sei im Begriff, eine Straftat vorzubereiten, zu verüben oder zu verdecken.

Nach Maßgabe dieser Grundsätze konnte die Kammer hier keine bevorstehende Gefahr feststellen. Auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gilt eine materielle Beweislast des Inhalts, dass die Unerweislichkeit von Tatsachen, aus denen ein Beteiligter ihm günstige Rechtsfolgen ableitet, zu seinen Lasten geht (st. Rspr. seit BVerwG, Urt. v. 23.5.1962, VI C 39.60, BVerwGE 14, 181, 186 f.). Im Bereich der Eingriffsverwaltung bedeutet dies, dass die Behörde die Folgen der Ungewissheit des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen der zu einem Eingriffsakt ermächtigenden Rechtsnorm gegen sich gelten lassen muss (st. Rspr. seit BVerwG, Urt. v. 25.3.1964, VI C 150.62, juris, Rn. 17 ff.). Vorliegend ist die Kammer auf Grundlage des tatsächlichen Vorbringens der Beteiligten sowie der im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 20. Oktober 2020 erfolgten persönlichen Anhörung des Klägers und Vernehmung der Zeugen R., S. und E. nicht zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger und der Zeuge R. seinerzeit tatsächlich ein Verhalten gezeigt haben, das die von der Beklagten vorgebrachte Annahme einer Anscheinsgefahr dahingehend gerechtfertigt hätte, dass die beiden im Begriff gewesen seien, eine Betäubungsmittelstraftat vorzubereiten, zu verüben oder zu verdecken, oder anderweitig der Betäubungsmittelszene zuzurechnen gewesen seien.

Maßstab der richterlichen Überzeugungsbildung ist insoweit der allgemeine Grundsatz, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen darf, sondern sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen muss, der Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind (BVerwG, Urt. v. 16.4.1985, 9 C 109/84, juris, Rn. 16).

Eine solche Gewissheit konnte die Kammer hier nicht erlangen. Die Kammer hat bereits Zweifel daran, dass sich das Geschehen tatsächlich so zugetragen hat, wie die Beklagte es behauptet (hierzu unter [a]). In jedem Fall hätte ein solches Geschehen im vorliegenden Fall nicht den Verdacht gerechtfertigt, der Kläger sei der Betäubungsmittelszene zuzurechnen (hierzu unter [b]).

(a) Die Kammer hat bereits Zweifel daran, dass der Kläger und der Zeuge R. tatsächlich – wie die Beklagte behauptet – unmittelbar vor der Anhaltesituation in auffällig engem Abstand nebeneinandergingen, nach ihren Sporttaschen griffen und dabei ihre Köpfe nach hinten umdrehten.

Der Zeuge S. hat die entsprechenden Angaben aus seinem Einsatzbericht zwar in seiner Vernehmung wiederholt. Hierbei konnte er das angebliche Verhalten des Klägers und des Zeugen R. jedoch lediglich mittels pauschaler, schlagwortartiger Begriffe schildern, was darauf hindeutet, dass die Schilderung nicht seiner unmittelbaren bildhaften Erinnerung an den Vorfall entsprang, sondern vielmehr maßgeblich auf das nach eigener Aussage am Morgen der Vernehmung erfolgte Studium des Berichts gestützt war.

Nach der Einschätzung des Zeugen E., der den Kläger und den Zeugen R. bewusst „abgescannt“ haben will, hätten die beiden einen unauffälligen Eindruck gemacht. Aus ihren Sporttaschen hätten Gegenstände herausgeragt, die der Zeuge E. als Einkäufe identifizieren zu können glaubte. Die Einlassung des Zeugen E. ist insoweit auch als glaubhaft zu bewerten. Der Zeuge hat freimütig eingeräumt, sich an zahlreiche Details des Vorfalls nicht mehr erinnern zu können; auch hatte er über den Vorfall keinen Bericht oder sonstigen schriftlichen Vermerk angefertigt, mit dessen Hilfe er sich vor der Vernehmung nochmals in den zu diesem Zeitpunkt bereits drei Jahre zurückliegenden Vorfall hätte „einlesen“ können. Seine verbleibende Erinnerung an bestimmte Eigenheiten des Vorfalls konnte er jedoch anschaulich schildern – namentlich, dass er allein vorausgegangen sei, wie er den Kläger und den Zeugen R. wahrgenommen und welche Schlüsse er aus dieser Wahrnehmung gezogen habe, wie er schließlich akustisch wahrgenommen habe, dass der Zeuge S. die beiden angehalten habe, und etwa auch, dass gegen Ende der Kontrolle eine weibliche Person hinzugetreten sei, die sich mit dem Kläger und dem Zeugen R. „solidarisiert“ habe, worin seine Schilderung mit der des Klägers und des Zeugen R. übereinstimmt. Für die Glaubhaftigkeit der Einlassung des Zeugen E. spricht schließlich auch der Umstand, dass sie keine Belastungstendenz aufweist, sondern vielmehr dem Tatsachenvortrag der Beklagten in Teilen zugunsten des Klägers widerspricht.

(b) Doch selbst bei Wahrunterstellung der oben dargestellten Beobachtungen des Zeugen S. ließ sich hier aus dem Verhalten des Klägers und des Zeugen R. bei verständiger Würdigung der Gesamtumstände weder der vom Zeugen S. geäußerte Verdacht, die beiden könnten im Begriff gewesen sein, Betäubungsmittel auszutauschen, noch der Verdacht einer sonstigen Zugehörigkeit des Klägers zur Betäubungsmittelszene ableiten.

Ein etwaiges Umschauen bzw. Umdrehen nach hinten könnte dadurch zu erklären sein, dass die beiden jeweils eine schwere Tasche mitführten, aus denen nach Aussage des Zeugen E. ersichtlich Gegenstände herausragten. Gleiches gilt für die Ausführung von Bewegungen an diesen Taschen. Auch der bloße Umstand, dass zwei junge Männer eng nebeneinander sich vertraut unterhaltend durch St. Pauli gehen, ist nicht geeignet, den Verdacht eines Betäubungsmitteldelikts zu begründen. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Kläger und der Zeuge R. übereinstimmend geschildert haben, dass sie in dem Augenblick, als sie die beiden Polizeibeamten erblickt hätten, entspannt gewesen seien, da entsprechende Situationen für sie als Anwohner der St. Pauli Hafenstraße eher alltäglich als eine Ausnahme gewesen seien. Diese Einlassung ist – auch aufgrund des persönlichen Eindrucks, den sich die Kammer vom Kläger und dem Zeugen R. machen konnte – als glaubhaft zu bewerten.

In jedem Fall wäre der Zeuge S. aber, sofern er den Kläger und den Zeugen R. nach seinen Beobachtungen aus einer gewissen Distanz als möglicherweise überprüfungswürdig eingeschätzt hatte, gehalten gewesen, nach dem Anhalten der beiden zunächst zu hinterfragen, ob sich aus ihrem Erscheinungsbild möglicherweise weitere Umstände ergeben könnten, die den zunächst geschöpften Verdacht eines Betäubungsmitteldelikts wieder hätten entkräften können. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hätte ein verständiger Polizeibeamter spätestens hierbei erkennen können, dass es sich bei dem Kläger und dem Zeugen R. – wie diese dem Zeugen S. nach ihren und auch dessen eigenen Angaben auch sogleich mitteilten – nicht um einen Drogendealer und einen Drogenkonsumenten, sondern tatsächlich um Anwohner der St. Pauli Hafenstraße handelte, die sich auf dem Heimweg vom Sport und einem anschließenden Einkauf befanden.

Insoweit ist die Einschätzung des handelnden Polizeibeamten zum Vorliegen einer Gefahr wenigstens am Kenntnis- und Erfahrungsstand eines durchschnittlichen Polizeibeamten zu messen. Dabei muss die Beklagte ihre eigenen internen Anweisungen gegen sich gelten lassen, wie sie sich zum streitgegenständlichen Zeitpunkt nach dem Vorbringen der Beklagten etwa aus einer Dienstanweisung der Polizei Hamburg zur Bekämpfung der öffentlich wahrnehmbaren Drogenkriminalität und ihrer Auswirkungen sowie einer Vorbemerkung des Senats in seiner Antwort auf eine Schriftliche Kleine Anfrage vom 7. November 2017 (Bü-Drs. 21/10822) ergaben. Demnach zeichneten sich Drogendealer neben „konspirativem Verhalten“ (wie etwa der Sicherung nach allen Seiten, engem abgeschirmten und verdeckten Zusammenstehen mit anderen Personen und szenetypischen Austauschhandlungen, namentlich von Geld und bzw. oder rauschmittelverdächtigen Substanzen) u.a. eben auch durch eine durchgängige Präsenz, die sich nicht etwa aus einer erkennbaren Situation als Anwohner erklären ließe, sowie ein ausgeprägtes Fluchtverhalten gegenüber der Polizei aus. Das Vorliegen solcher Umstände konnte die Kammer hier gerade nicht feststellen.

(2) Offenbleiben kann daher, ob die Heranziehung des Klägers zur Identitätsfeststellung auch bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage als ermessensfehlerhaft und somit rechtswidrig zu werten gewesen wäre. Insbesondere hatte die Kammer nicht darüber zu entschieden, ob der handelnde Polizeibeamte seine Entscheidung zumindest auch an die Hautfarbe und (vermutete) Herkunft des Klägers angeknüpft haben könnte und eine in diesem Fall zu besorgende Diskriminierung des Klägers entgegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verfassungsrechtlich zu rechtfertigen gewesen wäre.

bb) Die Identitätsfeststellung war auch nicht durch die Ermächtigung des § 4 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) PolDVG in der zum damaligen Zeitpunkt geltenden, zuletzt durch Art. 2 des Gesetzes zur Erhöhung der öffentlichen Sicherheit in Hamburg vom 16. Juni 2005 (HmbGVBl. S. 424) geänderten Fassung (nunmehr wortgleich: § 13 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) PolDVG) gedeckt. Nach dieser Vorschrift durfte die Polizei die Identität einer Person feststellen, wenn diese an einem Ort angetroffen wurde, von dem Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass dort Personen Straftaten von erheblicher Bedeutung verabredeten, vorbereiteten oder verübten.

Die für eine Identitätsfeststellung auf Grundlage dieser Vorschrift erforderlichen Voraussetzungen lagen hier nicht vor. Dabei kann offenbleiben, ob es sich bei dem Ort der streitgegenständlichen Identitätsfeststellung tatsächlich um einen „gefährlichen Ort“ i.S.d. Vorschrift handelte (hierzu unter [1]). Die Vorschrift ist nämlich verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass sie keine gänzlich anlasslose Kontrolle jeglicher an einem solchen Ort angetroffener Personen ermöglicht, sondern einschränkende Anforderungen zu stellen sind (hierzu unter [2]). Diese Anforderungen waren hier nicht erfüllt (hierzu unter [3]).

(1) Vorliegend kann offenbleiben, ob es sich beim Ort der streitgegenständlichen Identitätsfeststellung in der Balduinstraße im Hamburger Stadtteil St. Pauli tatsächlich um einen „gefährlichen Ort“ i.S.d. § 4 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) PolDVG a. F. handelte – namentlich einerseits, ob der von der Polizei Hamburg ausgewiesene, eine Fläche von 0,371 Quadratkilometern umfassende „Gefährliche Ort PK 15 BtM“ ein „Ort“ sein kann oder vielmehr die jeweils betroffenen Straßen und Plätze gesondert zu betrachten wären, und andererseits, ob dieser Ort zum fraglichen Zeitpunkt auch hinreichend „gefährlich“ war, also Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass dort Personen Straftaten von erheblicher Bedeutung verabreden, vorbereiten oder verüben würden, worunter gemäß § 1 Abs. 4 Nr. 1 und Nr. 2 lit. b) Var. 2 PolDVG in der zum damaligen Zeitpunkt geltenden, zuletzt durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung polizeirechtlicher Vorschriften vom 30. Mai 2012 (HmbGVBl. S. 204) geänderten Fassung (nunmehr wortgleich: § 2 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 lit. b) PolDVG) auch Verbrechen und Vergehen auf dem Gebiet des unerlaubten Betäubungsmittelverkehrs fallen können, soweit sie im Einzelfall nach Art und Schwere geeignet sind, den Rechtsfrieden besonders zu stören.

(2) § 4 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) PolDVG a. F. ist nämlich verfassungskonform einschränkend dahingehend auszulegen, dass er keine gänzlich anlasslose Kontrolle jeglicher an einem solchen Ort angetroffener Personen ermöglicht. Die Vorschrift begegnet zwar erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken (hierzu unter [a]), ist jedoch einer verfassungskonformen einschränkenden Auslegung zugänglich (hierzu unter [b]). Diese ist dahingehend vorzunehmen, dass gewisse objektive Anhaltspunkte für einen Bezug der betroffenen Person zu der von dem jeweiligen Ort ausgehenden Gefahr vorliegen müssen (hierzu unter [c]).

(a) Die Ermächtigung des § 4 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) PolDVG a. F. begegnet hinsichtlich der sich aus ihrem unmittelbaren Wortlaut ergebenden Tatbestandsvoraussetzungen und der hieran geknüpften Rechtsfolgen erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Insbesondere sind mehrere der Erwägungen, aus denen heraus das Hamburgische Oberverwaltungsgericht im Jahre 2015 (Urt. v. 13.5.2015, 4 Bf 226/12, juris) die Ermächtigung des § 4 Abs. 2 Satz 1 PolDVG a. F. für verfassungswidrig erachtet hat, auf § 4 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) PolDVG a. F. übertragbar. § 4 Abs. 2 Satz 1 PolDVG a. F. ermächtigte die Polizei, im öffentlichen Raum in einem bestimmten Gebiet u.a. die Identität einer Person festzustellen, soweit auf Grund von konkreten Lageerkenntnissen anzunehmen war, dass in diesem Gebiet Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen würden und die Maßnahme zur Verhütung der Straftaten erforderlich sei.

Das Oberverwaltungsgericht hat die Vorschrift u.a. deshalb als verfassungswidrig – nämlich unverhältnismäßig im engeren Sinne – angesehen, weil diese auf tatbestandlicher Seite keine besondere Nähe des Maßnahmeadressaten zu der von dem Gebiet ausgehenden Gefahr voraussetze und daher die Bestimmung der in Anspruch zu nehmenden Personen der freien Einschätzung der handelnden Polizeibeamten überlasse (OVG Hamburg, Urt. v. 13.5.2015, a.a.O., Rn. 79). Dabei ist das Oberverwaltungsgericht zurecht davon ausgegangen, dass auch eine „einfache“ Identitätsfeststellung, die allein an die Anwesenheit an einem Ort anknüpft, im Einzelfall eine erhebliche Eingriffsintensität aufweisen kann (OVG Hamburg, Urt. v. 13.5.2015, a.a.O., Rn. 71; instruktiv Tomerius, DVBl. 2017, 1399, 1403 ff.; a. A. insoweit – in Bezug auf die Parallelvorschriften zu § 4 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) PolDVG a. F. in den Polizeigesetzen der jeweiligen Länder – VGH München, Beschl. v. 8.3.2012, 10 C 12.141, juris, Rn. 15; OVG Lüneburg, Beschl. v. 4.3.2010, 11 PA 191/09, juris, Rn. 6; VG Berlin, Urt. v. 15.9.2017, 1 K 229.16, juris, Rn. 18 f.). Dies gilt insbesondere in Bezug auf Personen, die an einem solchen Ort oder in dessen Nähe wohnen oder arbeiten bzw. bestimmten Zielgruppen angehören, gegen die sich die entsprechenden Kontrollen nach der polizeilichen Praxis weit überwiegend richten, auch da die entsprechenden Maßnahmen insoweit – gerade für letztere Personen – eine besonders stigmatisierende Wirkung entfalten können (OVG Hamburg, Urt. v. 13.5.2015, a.a.O., Rn. 71; Tomerius, DVBl. 2017, 1399, 1403 ff.).

(b) Wenngleich diese verfassungsrechtlichen Bedenken für sich genommen auf § 4 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) PolDVG a. F. übertragbar sind, ist diese Vorschrift nach Auffassung der Kammer nicht verfassungswidrig, sondern vielmehr einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich. Anders als bei § 4 Abs. 2 Satz 1 PolDVG a. F. stellen die geschriebenen Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) PolDVG a. F. einen tauglichen Ausgangspunkt für eine hinreichende Eingrenzung des Adressatenkreises dar.

§ 4 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) PolDVG a. F. setzt auf tatbestandlicher Seite voraus, dass eine Person an einem Ort angetroffen wird, von dem Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dort Personen Straftaten von erheblicher Bedeutung verabreden, vorbereiten oder verüben. Damit stellt die Vorschrift zwei gerichtlich voll überprüfbare Eingriffsvoraussetzungen auf, nämlich das Vorliegen eines „Ortes“ sowie konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte für eine besondere Kriminalitätsbelastung dieses Ortes. Hierdurch wird für die Gerichte im Wege der Auslegung hinreichend bestimmbar, unter welchen Umständen und insbesondere auch welchen Adressaten gegenüber eine Maßnahme nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) PolDVG a. F. im Einzelfall zulässig sein kann (vgl. i. E. in Bezug auf die Parallelvorschriften in den Polizeigesetzen der jeweiligen Länder: OVG Lüneburg, Beschl. v. 4.3.2010, 11 PA 191/09, juris, Rn. 7; VG Berlin, Urt. v. 15.9.2017, 1 K 229.16, juris, Rn. 18 f.).

§ 4 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) PolDVG a. F. unterscheidet sich insoweit maßgeblich von § 4 Abs. 2 Satz 1 PolDVG a. F., dessen Verfassungswidrigkeit das Hamburgische Oberverwaltungsgericht bereits daraus abgeleitet hat, dass die geschriebenen Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift gegen das rechtsstaatliche Gebot der Normenklarheit und -bestimmtheit verstießen (OVG Hamburg, Urt. v. 13.5.2015, a.a.O., Rn. 45 ff.). Die dortige Anknüpfung an die Ausweisung eines ganzen Gebiets als Gefahrengebiet auf der alleinigen Grundlage polizeilicher Lageerkenntnisse ermögliche es der Polizei als Normadressaten, das Vorliegen der maßgeblichen Tatbestandsvoraussetzung selbst herbeizuführen (hierzu sowie zum Folgenden: OVG Hamburg, Urt. v. 13.5.2015, a.a.O., Rn. 52 ff.). Lageerkenntnisse seien nicht mit Tatsachen gleichzusetzen, sondern beinhalteten eine Bewertung, wodurch der Polizei eine Einschätzungsprärogative eingeräumt werde, die mit einem gerichtlich nur beschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum vergleichbar sei.

Vor diesem Hintergrund ist auch die sich daran anschließende Wertung des Oberverwaltungsgerichts zu betrachten, dass eine solche Vorschrift nicht nur unbestimmt, sondern auch in der Sache angesichts des Gewichts des durch sie ermöglichten Grundrechtseingriffs unverhältnismäßig sei, wenn sie zudem auch keine Einschränkung des zulässigen Adressatenkreises vorsehe. In Bezug auf § 4 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) PolDVG a. F. lassen sich diese Bedenken hingegen im Wege einer verfassungskonformen Auslegung ausräumen.

Eine Verfassungswidrigkeit des § 4 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) PolDVG a. F. folgt auch nicht daraus, dass die Beklagte den Begriff des „Ortes“ in ihrer Verwaltungspraxis seit Streichung des § 4 Abs. 2 Satz 1 PolDVG a. F. im Dezember 2016 ausgesprochen weit auslegt und im vorliegenden Fall sogar große Teile eines ganzen Stadtteils darunter fasst. Wenngleich der Gesetzgeber in seiner Begründung zur Streichung des § 4 Abs. 2 Satz 1 PolDVG a. F. selbst eine solche Auslegung der Vorschrift nahelegt, um eine Fortsetzung der zu § 4 Abs. 2 Satz 1 PolDVG a. F. gebildeten polizeilichen Praxis zu ermöglichen (Bü-Drs. 21/5325, S. 2 f.), ist diese nicht zwingend. Nicht zuletzt war der Gesetzgeber selbst im Jahr 2004 noch von einem erheblich engeren Begriffsverständnis ausgegangen, als er einerseits die Vorschrift des § 4 Abs. 2 Satz 1 PolDVG a. F. schuf, die anders als § 4 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) PolDVG a. F. keinen „engen Ortsbezug“ aufweisen sollte, und andererseits in § 4 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) PolDVG a. F. das Merkmal „sich aufhält“ durch „angetroffen wird“ ersetzte, um nunmehr etwa auch Fälle zu erfassen, in denen der Maßnahmeadressat den „Ort“ lediglich zügig durchschreite (Bü-Drs. 18/1487, S. 13 f.).

(c) Eine verfassungskonforme Auslegung des § 4 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) PolDVG a. F. ist nach alledem dahingehend vorzunehmen, dass eine gänzlich anlasslose Kontrolle jeder Person, die an einem Ort angetroffen wird, der für sich genommen die an einen „gefährlichen Ort“ zu stellenden Anforderungen erfüllt, nicht zulässig ist. Vielmehr ist zu fordern, dass gewisse objektive Anhaltspunkte für einen Bezug der betroffenen Person zu der von dem jeweiligen Ort ausgehenden Gefahr vorliegen müssen (vgl. Alberts/Merten, PolDVG, 3. Aufl. 2002, § 4 PolDVG Rn. 5; Rachor/Graulich, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, E Rn. 322; für die Parallelvorschriften im BPolG bzw. den Polizeigesetzen anderer Länder mit unterschiedlich hohen Anforderungen etwa Ogorek, in: BeckOK PolR NRW, 14. Ed. 2020, § 12 PolG Rn. 25; Schenke, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 23 BPolG Rn. 25; Senftl, in: BeckOK PolR Bayern, 13. Ed. 2020, Art. 13 POG Rn. 10; Waechter, in: BeckOK PolR Nds, 15. Ed. 2020, § 13 POG Rn. 24). Dabei kann offenbleiben, ob die entsprechende Einschränkung in einer zusätzlichen, ungeschriebenen Tatbestandsvoraussetzung oder aber als Kriterium bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit als gesetzliche Grenze des behördlichen Ermessens auf Rechtsfolgenseite zu verorten ist.

(3) Die nach Maßgabe dieser Grundsätze aufzustellenden einschränkenden Anforderungen waren im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

Dabei kann offenbleiben, welches Maß die Anhaltspunkte für einen Bezug der betroffenen Person zu der von dem jeweiligen Ort ausgehenden Gefahr im jeweiligen Einzelfall erreichen müssen. Dies dürfte insbesondere von der räumlichen Ausdehnung des als gefährlichen Ort angesehenen Bereichs, von Art, Schwere und zeitlicher Eingrenzbarkeit der von diesem Ort ausgehenden Gefahr sowie der Praktikabilität der Eingrenzung der Zielgruppen abhängig zu machen sein. So grenzt die Anwesenheit etwa in einer als Treffpunkt eines verbotenen Vereins oder Schauplatz unerlaubten Glücksspiels bekannten Kneipe den Adressatenkreis bereits für sich genommen erheblich weiter ein als die Anwesenheit auf einer Straße oder gar in einem aus zahlreichen Straßen bestehenden Gebiet, die auch bloße Anwohner oder sonstige Anlieger ohne Bezug zur dort auftretenden Kriminalität betrifft.

Die Beklagte ist im vorliegenden Fall nämlich wenigstens an ihrer eigenen Zielgruppenbeschreibung zu messen, wie sie sich aus der vorgelegten internen Anweisung der Polizei Hamburg zur Bekämpfung der öffentlich wahrnehmbaren Drogenkriminalität und ihrer Auswirkungen sowie der Vorbemerkung des Senats in seiner Antwort auf die Schriftliche Kleine Anfrage vom 7. November 2017 (Bü-Drs. 21/10822) ergibt [vgl. hierzu bereits oben unter aa) (1) (b)].

Nach dieser Maßgabe konnte die Kammer nicht feststellen, dass sich aus dem Verhalten des Klägers bei einer Gesamtschau der für einen verständigen Beobachter ersichtlichen tatsächlichen Umstände überhaupt belastbare, über eine bloße Vermutung der handelnden Polizeibeamten hinausgehende tatsächliche Anhaltspunkte für einen Bezug des Klägers zu der nach dem Vorbringen der Beklagten vom Ort der Identitätsfeststellung ausgehenden Gefahr, also einer Betäubungsmittelkriminalität von gewisser Erheblichkeit, ergeben hätten. Insoweit wird vollumfänglich auf die oben unter aa) (1) dargestellte Würdigung des tatsächlichen Vorbringens der Beteiligten sowie des Ergebnisses der Beweisaufnahme im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 20. Oktober 2020 verwiesen.

b) Auch die am 25. April 2018 gegen 21:30 Uhr in der Silbersackstraße erfolgte Identitätsfeststellung des Klägers war rechtswidrig, da auch insoweit die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 PolDVG a. F. bzw. des § 4 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) PolDVG a. F. – deren rechtlichen Gehalt die Kammer oben unter a) umfassend dargestellt hat – nicht erfüllt waren. Die Kammer konnte auf Grundlage des tatsächlichen Vorbringens der Beteiligten, der im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 20. Oktober 2020 erfolgten persönlichen Anhörung des Klägers sowie der im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 10. November 2020 erfolgten Vernehmung des Zeugen W. und der Zeugin H. nicht mit hinreichender Gewissheit feststellen, dass sich aus dem Verhalten des Klägers in der betreffenden Situation bei einer Gesamtschau der für einen verständigen Beobachter ersichtlichen Umstände belastbare, über eine bloße Vermutung der handelnden Polizeibeamten hinausgehende tatsächliche Anhaltspunkte ergeben hätten, die die von der Beklagten zugrunde gelegte Annahme gerechtfertigt hätten, dass der Kläger im Begriff gewesen sei, eine Betäubungsmittelstraftat vorzubereiten, zu verüben oder zu verdecken, oder anderweitig der Betäubungsmittelszene zuzurechnen gewesen sei. Insoweit kann dahinstehen, ob die Einlassung des Klägers zum Ablauf des Geschehens als glaubhaft zu bewerten ist (hierzu unter aa.), da die Kammer weder aus den schriftlichen Äußerungen noch aus den Vernehmungen der Zeugin H. (hierzu unter bb.) oder des Zeugen W. (hierzu unter cc.) eine Überzeugung vom Vorliegen solcher Anhaltspunkte gewinnen konnte.

aa) Offenbleiben kann zunächst, wie die Einlassung des Klägers zu bewerten ist, er sei die Silbersackstraße in Richtung Balduinstraße entlanggegangen, als ihm die beiden Polizeibeamten aus der anderen Richtung entgegengekommen seien. Zwar ist diese Darstellung mit den insoweit übereinstimmenden Berichten und Stellungnahmen des Zeugen W. und der Zeugin H. sowie der Aussage der Zeugin H. unvereinbar, nach denen diese in Richtung Balduinstraße gegangen seien und der Kläger ihnen, aus der Silbersacktwiete kommend, entgegengekommen sei. Die Zeugin H. hat ausdrücklich betont, sich hieran mit Sicherheit zu erinnern. Doch selbst wenn diese Einlassung des Klägers als unwahre Schutzbehauptung zu werten sein sollte, könnte dieser Umstand nicht die Überzeugung der Kammer davon ersetzen, dass sich der Kläger im Vorfeld der Identitätsfeststellung tatsächlich verdächtig verhalten hat.

bb) Weiterhin ist festzuhalten, dass sich weder aus dem Einsatzbericht der Zeugin H., aus ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 11. Juli 2018 noch auch aus ihrer Vernehmung belastbare Anhaltspunkte für die Annahme eines hinreichend verdächtigten Verhaltens des Klägers ergeben. Die Zeugin hat sich dahingehend eingelassen, sie habe zunächst lediglich gesehen, wie der Kläger aus der Silbersacktwiete auf den Zeugen W. und sie zugegangen sei. Ungeeignet, den Verdacht einer Zugehörigkeit des Klägers zur Betäubungsmittelszene zu begründen, ist auch die weitere Einlassung, der Kläger habe hierbei ein weites Oberteil getragen. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob diese Angabe vor dem Hintergrund, dass die Zeugin in ihrer nur zweieinhalb Monate nach dem Vorfall verfassten Stellungnahme ausdrücklich angegeben hatte, sie könne die Bekleidung des Klägers nicht mehr beschreiben, als glaubhaft zu werten ist. Dass „weite Kleidung“ – zumal ohne jede weitere Spezifikation – ein belastbares Merkmal zur Identifikation von Betäubungsmittelhändlern sein könnte, ist nämlich weder von der Beklagten vorgetragen noch sonst ersichtlich. Gleiches gilt für die weitere Aussage der Zeugin, sie habe das „Gefühl“ gehabt, der Kläger habe dem Zeugen W. und ihr aus dem Weg gehen wollen und habe Anstalten gemacht, die Straßenseite zu wechseln. Die bloße unspezifische Ausstrahlung einer gewissen Unsicherheit beim Anblick zweier uniformierter Polizeibeamter ermöglicht nicht die Zuordnung der betreffenden Person zur Betäubungsmittelszene.

cc) Schließlich konnte die Kammer auch nicht zu ihrer Überzeugung feststellen, dass sich hinreichende Verdachtsmomente daraus ergeben hätten, dass der Kläger – wie in der schriftlichen Stellungnahme des Zeugen W. vom 11. Juli 2018 dargestellt – zunächst mit zwei weiteren Personen, einander eng zugewandt, in der Silbersacktwiete stand und sich diese Gruppe sodann in unterschiedliche Richtungen auflöste, als sie die beiden uniformierten Polizeibeamten wahrgenommen hatte. Die Kammer hat bereits erhebliche Zweifel daran, dass sich das Geschehen tatsächlich so zugetragen hat (hierzu unter [1]). In jedem Fall hätte ein solches Geschehen im vorliegenden Fall nicht den Verdacht gerechtfertigt, dass der Kläger der Betäubungsmittelszene zuzurechnen sei (hierzu unter [2]).

(1) Die Kammer hat bereits erhebliche Zweifel daran, dass sich das Geschehen tatsächlich so zugetragen hat. In seiner Vernehmung hat der Zeuge W. mehrfach offen eingeräumt, dass er kaum eine Erinnerung an den Vorfall habe und sich ganz überwiegend auf die verschiedenen Berichte stützen müsse, die er im Vorfeld der Verhandlung noch einmal gelesen habe. Daher ließe sich die Annahme eines solchen Geschehensablaufs praktisch allein auf die schriftliche Stellungnahme des Zeugen vom 11. Juli 2018 stützen.

Zweifel an der Richtigkeit der dortigen Darstellung ergeben sich allerdings zunächst daraus, dass die entsprechende Beobachtung des Zeugen W. im Einsatzbericht der Zeugin H. nicht auftaucht. Dies kann entgegen der entsprechenden Erklärung der Zeugin H. in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 11. Juli 2018 nicht dadurch bedingt gewesen sein, dass der Zeuge W. deshalb keine Gelegenheit gehabt hätte, den Einsatzbericht vor der Fertigstellung noch einmal gegenzulesen, weil er zu diesem Zeitpunkt noch mit der weiteren Behandlung des Klägers beschäftigt gewesen sei. Die Zeugin H. vermerkte nämlich am Ende ihres Einsatzberichts: „Da keine aktuellen Einträge vorlagen, wurde [der Kläger] gegen 22:10 Uhr entlassen.“ Hieraus ergibt sich logisch zwingend, dass der Zeuge W. in dem Moment, als die Zeugin H. den Bericht fertigstellte und seinen Ausdruck veranlasste, nicht mehr mit dem Kläger beschäftigt gewesen sein kann.

Weitere Zweifel ergeben sich insbesondere aus der Darstellung des Geschehens durch die Zeugin H. im Rahmen ihrer Vernehmung. Die Zeugin hat angegeben, dass sie gesehen habe, wie der Kläger aus demjenigen Teil der Silbersacktwiete auf den Zeugen W. und sie zugekommen sei, der von der an der Einmündung der Silbersacktwiete in die Silbersackstraße gelegenen Straßenlaterne nicht voll beleuchtet und daher schon ein wenig dunkler gewesen sei. Sollte diese Erinnerung zutreffend sein, wäre zwar nicht ausgeschlossen, dass der Zeuge W. den Kläger zu einem noch früheren Zeitpunkt wahrgenommen haben könnte, als dieser möglicherweise noch mit weiteren Personen zusammenstand. Angesichts der weiteren Einlassung der Zeugin H., der Zeuge W. und sie hätten sich selbst zu dem Zeitpunkt, als der Kläger ihnen in der Silbersackstraße entgegengekommen sei, noch nicht an der Einmündung der Silbersacktwiete, sondern ein ganzes Stück weiter hinten befunden, ist jedoch bereits schwer vorstellbar, wie der Zeuge W. eine solche Gruppe aus dieser Perspektive überhaupt wahrgenommen haben will. In jedem Fall bestünden angesichts der im noch weiter hinten gelegenen Teil der Silbersacktwiete herrschenden noch schlechteren Lichtverhältnisse erhebliche Zweifel an der Qualität einer solchen Beobachtung.

(2) Doch selbst wenn sich das Geschehen so, wie in der Stellungnahme des Zeugen W. dargestellt, zugetragen haben sollte, rechtfertigte es bei einer Gesamtschau der für einen verständigen Beobachter ersichtlichen Umstände nicht den von der Beklagten behaupteten Verdacht. So wäre es lebensfremd anzunehmen, dass sich eine Gruppe von Betäubungsmittelhändlern bzw. -konsumenten beim Anblick uniformierter Polizeibeamter schlagartig auflöst und zerstreut, einer dieser Delinquenten sodann jedoch ausgerechnet diesen Polizeibeamten entgegengeht. Dies gilt umso mehr angesichts der örtlichen Verhältnisse in der streitgegenständlichen Situation, die es nicht nur ermöglicht hätten, in das Dunkel der Silbersacktwiete zu entweichen, wie es die anderen beiden Personen der Stellungnahme des Zeugen W. zufolge getan haben sollen, sondern insbesondere auch, die Balduinstraße in südliche Richtung hinunterzugehen, die nicht nur einen Fluchtweg in Richtung Hafen, sondern bereits nach weniger als 100 Metern einen weiteren Fluchtweg in Richtung Reeperbahn durch die Friedrichstraße angeboten hätte. Hinzu kommt, dass die Zeugin H. ausgesagt hat, sie könne sich daran erinnern, dass der Kläger ihnen auf derselben Straßenseite entgegengekommen und dabei „geschlendert“ sei. Ein derartiges Verhalten eines flüchtigen Betäubungsmittelhändlers oder -konsumenten, der sich kurz zuvor im Angesicht uniformierter Polizeibeamter noch schlagartig von seinen Komplizen getrennt hatte, um einer Entdeckung durch eben diese Polizeibeamten zuvorzukommen, ist nicht nur lebensfremd; es widerspricht auch der bereits mehrfach in Bezug genommenen ausdrücklichen Zielgruppenbeschreibung durch die Beklagte.

III.

Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, folgt die Kostenentscheidung aus § 155 Abs. 2 VwGO, im Übrigen aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 1, 709 Satz 1 und 2 ZPO.

Die Berufung war gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Rechtssache eine in der Rechtsprechung bislang noch nicht geklärte fallübergreifende, verallgemeinerungsfähige Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, die für das Verwaltungsgericht entscheidungserheblich war und auch für die Berufungsinstanz entscheidungserheblich und damit klärungsfähig ist, und deren Klärung im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts geboten erscheint (BVerfG, Beschl. v. 18.6.2019, 1 BvR 587/17, juris, Rn. 33). Dies ist hier in Bezug auf die Rechtsfrage, ob und gegebenenfalls inwiefern eine einschränkende Auslegung des § 4 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) PolDVG a. F. vorzunehmen ist, der Fall.

Kommentar

Der Kläger, ein aus Togo stammender Mensch schwarzer Hautfarbe, hatte geltend gemacht, ihm gegenüber habe racial profiling stattgefunden. In Anbetracht der zahlreichen stattgefundenen Identitätsfeststellungen erscheint dieser Vortrag nachvollziehbar schlüssig. Das Verwaltungsgericht weicht der Antwort auf dieses Thema aus, findet aber rechtliche Argumente, der Klage ohne Stellungnahme zum racial profiling stattzugeben. Sollte die Polizeibehörde das zugelassene Berufungsverfahren durchführen, wäre interessant zu erfahren, ob jemals Menschen weißer Hautfarbe auf St. Pauli ähnlich oft "anlasslos" kontrolliert wurden.