Titel

VG Freiburg, vom 05.02.2009, Az. 4 K 961/08
Rechtswidirgkeit verdachtsunabhängiger erkennungsdienstlicher Behandlungen

 


Zitiervorschlag: VG Freiburg, vom 05.02.2009, Az. 4 K 961/08, zitiert nach POR-RAV


Gericht:

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Datum:


Teaser

Die Entscheidung setzt sich ausführlich mit den Voraussetzungen erkennungsdienstlicher Behandlungen im Rahmen von Versammlungen auseinander

Leitsatz

1. Die Durchführung einer ED-Behandlung zu dem Zweck, in einem späteren Ermittlungsverfahren per Abgleich mögliche Tatbeteiligungen zu ermitteln, ist rechtswidrig, weil die Maßnahme voraussetzt, dass bereits ein Ermittlungsverfahren gegen die betroffene Person als Beschuldigte betrieben wird. 2. Eine landespolizeigesetzliche Vorschrift zur ED-Behandlung (hier § 36 PolG Baden-Württemberg) ist gegenüber § 81 b StPO nachrangig. 3. Eine Durchsuchung kann nicht mit Eigensicherungsgründen gerechtfertigt werden, wenn sie nach anderen Maßnahmen durchgeführt wird.

Volltext

TENOR

Es wird festgestellt, dass die von Polizeivollzugsbeamten der Polizeidirektion Freiburg in den Morgenstunden des 02.05.2008 gegen die Klägerin ergriffenen Maßnahmen der Anfertigung von Lichtbildern, der körperlichen Durchsuchung, des mit diesen Maßnahmen verbundenen Festhaltens auf dem Polizeirevier sowie der Speicherung von Lichtbildern von der Klägerin rechtswidrig waren.

GRÜNDE

Zum Sachverhalt: Am 01.05.2008 fand in Freiburg das so genannte Spechtpassagenfest statt. Für dieses Fest war der Bereich [...] gesperrt. Nach 22 Uhr versammelten sich mehr als 100 Personen in [diesem] Bereich [...], aus deren Mitte heraus auf der Fahrbahn ein großes Feuer entzündet wurde, das bis gegen 02.00 Uhr morgens durch Nachlegen insbesondere von Holz in Brand gehalten wurde. Danach verließen viele Besucher das Spechtpassagenfest und auch an der Feuerstelle begannen die meisten Personen abzuwandern. Gegen 02.25 Uhr wurde eine männliche Person, die von der Polizei als Hauptverursacher des Feuers angesehen wurde, in einiger Entfernung von der Feuerstelle festgenommen. In der Zeit zwischen 02.15 und 02.25 Uhr befand sich auch die Klägerin in unmittelbarer Nähe des Feuers. Zu diesem Zeitpunkt schritten Polizeibeamte, die das Geschehen bis dahin im Hintergrund beobachtet hatten, gegen die um das Feuer herumstehenden Personen ein. Im Zuge dessen wurde auch die Klägerin aufgefordert, sich zu dem etwa 500 m entfernten Polizeirevier Freiburg-Nord zu begeben. Dort wurden die Personalien der Klägerin festgestellt, Lichtbilder von ihr gefertigt und sie wurde dort körperlich durchsucht.

Aus den Gründen: Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten ist [...] nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO gegeben, da das Schwergewicht der polizeilichen Maßnahmen [...] auf der Gefahrenabwehr und nicht auf der Strafverfolgung lag. Die [...] Maßnahmen der Personenfeststellung, der Anfertigung von Lichtbildern, der Personendurchsuchung und der damit verbundenen Mitnahme zum Polizeirevier und des Festhaltens auf dem Polizeirevier haben als polizeiliche Standardmaßnahmen die Qualität von Verwaltungsakten. [...] Das berechtigte Interesse der Klägerin an der von ihr begehrten Feststellung der Rechtswidrigkeit der gegen sie ergriffenen Maßnahmen ergibt sich [...] ganz allgemein aus der institutionellen Garantie des Rechtsschutzes in Art. 19 Abs. 4 GG, die bei hoheitlichen Maßnahmen, die sich, wie das bei den hier streitigen polizeilichen Maßnahmen der Fall ist, typischerweise kurzfristig erledigen und bei denen effektiver gerichtlicher Rechtsschutz naturgemäß nicht rechtzeitig (vor Erledigung) erlangt werden kann, eine wirksame (nachträgliche) gerichtliche Kontrolle gebietet. [...]

[Das] Anfertigen von Lichtbildern [...] war rechtswidrig, weil es [da]für im konkreten Fall keine Rechtsgrundlage gibt. [Die Maßnahme] konnte weder auf § 81b StPO noch auf den gegenüber § 81b StPO nachrangigen § 36 PolG [Baden-Württemberg] gestützt werden. Die Polizei hat diese Maßnahme, die eine partielle erkennungsdienstliche Behandlung darstellt, letztlich allein mit Zwecken der Strafverfolgung begründet. In der Stellungnahme der Polizeidirektion Freiburg [...] wurde hierzu vorgetragen, die Lichtbilder hätten dazu gedient "in dem zu erwartenden Ermittlungsverfahren der Kriminalpolizei Freiburg die durch erhaltene Zeugenaussagen ggf. abgegebenen Personenbeschreibungen mit den kontrollierten Personen abzugleichen und mögliche Tatbeteiligungen zu ermitteln bzw. auszuschließen." Mit dieser Begründung könnte eine erkennungsdienstliche Behandlung aber nur aufgrund der für Strafverfolgungszwecke bestimmten 1. Alternative von § 81b StPO ("für die Zwecke der Strafverfolgung") gerechtfertigt sein. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen hier aber schon deshalb nicht vor, weil die Klägerin nicht Beschuldigte war und ist. Beschuldigter im Sinne der Strafprozessordnung ist nur der Tatverdächtige, gegen den ein (Straf-)Verfahren als Beschuldigter betrieben wird. Die Beschuldigteneigenschaft kann nur durch einen Willensakt der zuständigen Strafverfolgungsbehörde begründet werden, also z.B. wenn die Staatsanwaltschaft (oder auch Polizeibeamte als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft [...]) Maßnahmen gegen eine Person ergreift, die erkennbar darauf abzielen, gegen ihn wegen einer Straftat vorzugehen. Tatverdacht allein begründet noch nicht die Beschuldigteneigenschaft.

Hiernach kommen gegen die Klägerin keine Maßnahmen aufgrund von § 81b StPO in Betracht. Dass die Klägerin persönlich nicht Beschuldigte in einem Strafverfahren war, ist letzten Endes unstreitig, auch wenn der Klägerin vor Beginn der Maßnahmen von Polizeikommissar St eröffnet worden ist, das Einschreiten der Polizei beruhe darauf, dass zuvor Straftaten des Landfriedensbruchs begangen worden seien. In der mündlichen Verhandlung haben sowohl der Einsatzleiter der Polizei [...] als auch der Polizeikommissar St bestätigt, es habe keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass der Klägerin selbst konkrete Straftaten hätten nachgewiesen werden können und dass sie auch nie als Beschuldigte angesehen oder gar als solche belehrt worden sei. Das stimmt überein mit Aussagen [...] der Polizeidirektion Freiburg [...], wonach "hinsichtlich der Klägerin zum Kontrollzeitpunkt (noch) keine Erkenntnisse im Hinblick auf die Einleitung eines Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfahrens" vorgelegen hätten. Danach war die Klägerin in den Augen der Polizei nicht einmal Tatverdächtige, geschweige denn Beschuldigte.

Schon wegen des hiernach rein strafprozessualen Charakters dieser Maßnahme scheidet § 36 PolG als Ermächtigungsgrundlage für das Anfertigen von Lichtbildern im vorliegenden Fall aus. Diese Vorschrift kommt aber auch aus anderen Gründen hier nicht in Betracht. § 36 Abs. 1 Nr. 1 PolG scheidet deshalb aus, weil auch die Polizei nicht behauptet, dass das Anfertigen von Lichtbildern deshalb erforderlich war, weil die Identität der Klägerin auf andere Weise nicht habe zuverlässig festgestellt werden können. § 36 Abs. 1 Nr. 2 PolG scheidet aus, weil die Klägerin zum einen nicht verdächtig war und ist, eine Straftat begangen zu haben und weil es zum anderen erst recht keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme gab, das die Klägerin künftig (weitere) Straftaten begehen würde.

Auch mit § 163b Abs. 1 Satz 3 StPO kann das Anfertigen von Lichtbildern rechtlich nicht begründet werden. Soweit dort eine Ermächtigung zur erkennungsdienstlichen Behandlung normiert ist, ist das an die Voraussetzungen des § 163b Abs. 1 Satz 2 StPO geknüpft. Danach dürfen solche Maßnahmen (wie nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 PolG) nur ergriffen werden, wenn die Identität eines Verdächtigen nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann.

[...] Nach der Begründung dieser Maßnahme durch die Polizei selbst sollte die Durchsuchung der Klägerin nur zum Selbstschutz der Beamten während der Personenfeststellung oder anderer Maßnahmen auf der Wache und damit nur präventiv-polizeilichen Zwecken dienen. Als Ermächtigungsgrundlage könnte eine solche Maßnahme grundsätzlich auf § 29 Abs. 2 PolG als insoweit gegenüber § 29 Abs. 1 PolG speziellere Vorschrift gestützt werden, Aber unabhängig von der Frage, auf welche Vorschrift des Polizeigesetzes man diese Maßnahme stützt, kann eine Personendurchsuchung zum Zweck der Eigensicherung in keinem Fall mehr gerechtfertigt sein, wenn diese Maßnahme, wie es im Fall der Klägerin erst nach Durchführung aller polizeilicher Maßnahmen [...] stattfindet. Zu diesem (späten) Zeitpunkt hätte eine Durchsuchung allenfalls noch strafprozessual (nach den §§ 102, 103 StPO) gerechtfertigt sein können [...] § 102 StPO [kommt] als Rechtsgrundlage nicht in Betracht, weil die Klägerin nicht Tatverdächtige war, und § 103 StPO nicht, weil die Durchsuchung der Klägerin nicht dem Auffinden von Spuren oder Beweismitteln einer Straftat gedient hat. Auch § 163 Abs. 1 Satz 3 StPO scheidet hier als Ermächtigungsgrundlage aus; insoweit wird auf die Ausführungen zu § 163b Abs. 1 Satz 3 StPO [...] oben verwiesen.

[...]

Soweit die Klägerin auf der Wache festgehalten wurde, um die rechtswidrigen Maßnahmen der Anfertigung von Lichtbildern und der Personendurchsuchung zu ermöglichen, war auch dieses Festhalten rechtswidrig. Das Festhalten einer Person auf einer Polizeiwache ist grundsätzlich nur so lange rechtmäßig, wie es für die Durchführung rechtmäßiger Maßnahmen erforderlich ist.

Kommentar

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg hält in aller Deutlichkeit fest, dass ED-Behandlung und Durchsuchung das Vorliegen eines Verdachts voraussetzen und nicht zur Generierung eines Verdachts verwendet werden dürfen. Dies ist vor allem in Hinblick auf die Lichtbilderstellung von großer praktischer Bedeutung. Denn nach dem Urteil ist die Praxis der Polizei unzulässig, bei Demonstrationen und anderen öffentlichen Zusammenkünften eine besondere Form der "Strafverfolgungsvorsorge" zu betreiben. Dies beinhaltet üblicherweise, dass die Polizei größere Personenansammlungen umfassend ablichtet und gleichzeitig einzelne Personen ohne konkreten Bezug zu irgendwelchen Vorkommnissen nur aufgrund der Tatsache, dass sie sich vor Ort befunden haben, erkennungsdienstlich zu behandelt. Anschließend werden dann Übersichtsaufnahmen und Einzelbilder miteinander verglichen und so Verdächtige für Taten ermittelt, die zur Zeit der Lichtbilderstellung noch nicht erkannt worden waren. Außerdem kann dadurch festgestellt werden, wer sich wann mit wem in welchem Zusammenhang öffentlich traf. Insgesamt bedeutet die verdachtsunabhängige erkennungsdienstliche Behandlung in Zusammenhang mit öffentlichen Ansammlungen demnach in Zeiten der allgegenwärtigen Videoüberwachung einen (noch) vertieften Grundrechtseingriff, der mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts klar verboten wurde.