Titel

VG Dresden, Urteil vom 11.05.2011, Az. 6 K 1919/07
Rechtswidrigkeit einer Meldeauflage während des G8-Gipfels

 


Zitiervorschlag: VG Dresden, Urteil vom 11.05.2011, Az. 6 K 1919/07 , zitiert nach POR-RAV


Gericht:

Aktenzeichen:

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Teaser

Rechtswidrigkeit einer Meldeauflage während des G8-Gipfels aufgrund unzureichender Gefahrenprognose (hier: Landfriedensbruchsverurteilung und Vielzahl von eingestellten Ermittlungsverfahren aufgrund Zuordnung zu linker Szene)

Leitsatz

Eine Verurteilung wegen versuchter schwerer Körperverletzung und schweren Landfriedensbruchs im Jahr 2002, die Anwesenheit bei Demonstrationsgeschehen 2007 und fortgesetztes Engagement in der linken Szene reichen nicht aus, um von einer Gewaltbereitschaft auszugehen, die eine Meldeauflage für den G8-Gipfel in Heiligendamm rechtfertigen könnte.

Volltext

TENOR

1. Der Bescheid der Beklagten vom 25. Mai 2007 wird in Ziffer 4 aufgehoben. 2. Es wird festgestellt, dass die mit Bescheid der Beklagten vom 25.5.2007 verfügte Meldeauflage rechtswidrig war. 3. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte. Die Hinzuziehung der Prozessbevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

GRÜNDE

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen Meldeauflagen für die Dauer des G8-Gipfels in Heiligendamm/ Mecklenburg-Vorpommern im Juni 2007.

Mit Bescheid vom 25.5.2007 - dem Kläger am selben Tag zugegangen - verfügte die Beklagte, dass er sich am 6.6., 7.6. und 8.6.2007 jeweils zwischen 12 und 13 Uhr sowie zwischen 21 und 22 Uhr im Polizeirevier Dresden - Neustadt der Polizeidirektion Dresden zu melden habe. Sofern er aus nachweislich persönlichen oder beruflichen Gründen dieser Meldepflicht nicht nachkommen könne, habe er seinen Aufenthaltsort mindestens 12 Stunden vor der Meldezeit gegenüber dem Polizeirevier Dresden-Neustadt zu benennen. Er habe sich in diesem Fall beim zuständigen Polizeirevier seines Aufenthaltsortes unter Vorlage dieser Verfügung und seines Personalausweises zu melden (Ziff. 1). Für den Fall, dass er den Meldeauflagen nicht nachkomme, wurde dem Kläger die Gewahrsamnahme bis zum 9.6.2007 angedroht (Ziff. 2). Die sofortige Vollziehung von Ziff. 1 und 2 wurde angeordnet (Ziff. 3) und eine Gebühr von 50,00 € erhoben, die der Kläger zzgl. Auslagen i.H.v. 3,45 € zu zahlen habe (Ziff. 4). Zur Begründung hieß es, der Kläger sei bundesweit polizei bekannt als gewaltbereiter Begleiter von demonstrativen Aktionen. Nach demonstrativen Aktionen in Gleneagles/Schottland sei er wegen Landfriedensbruchs mittels Sicherungshaftbefehls ausgeschrieben worden. Seitens der Polizeidirektion Dresden seien auszugsweise folgende Fakten mitgeteilt worden: Am 6.4.2002 habe der Kläger bei einer Protestaktion gegen einen "Nazi-Aufmarsch" Polizeibeamte mit Steinen und Flaschen beworfen. Am 24.1.2004 habe er in F. an mehreren Funkstreifenwagen die Reifen zerstochen. Am 6.2.2004 habe er ein Fahrzeug in Brand gesetzt. Am 21.3.2004 habe er in F. den Verbindungsdraht einer Video-Überwachungsanlage auf dem Parkplatz vor der Polizeiwache zerschnitten. Am 9.11.2005 habe er in F. eine Person genötigt, ihre Jacke auszuziehen, um diese zu verbrennen. Des weiteren seien 18 Fälle von Sachbeschädigung, zwei gefährliche Körperverletzungen, schwere Brandstiftung sowie Verstöße gegen das Betäubungsmittel- und das Waffengesetz bekannt geworden. Als gewaltbereite Person bei der Durchsetzung der eigenen Weltanschauung bzw. Lebensauffassung sei er als Störer einschlägig aufgefallen und gehöre zu dem Personenkreis, von dem bei einem Aufenthalt in Heiligendamm während der Dauer des G8-Gipfels eine ernsthafte Gefährdung für andere Besucher und Anwohner auszugehen drohe. Es sei von ihm zu erwarten, dass er die Veranstaltung zu Tätlichkeiten gegenüber andersdenkenden Menschen nutzen bzw. sich an Vandalismushandlungen beteiligen werde. Es sei bei der Beurteilung der Gefahrenprognose unerheblich, ob er wegen eines Tätlichkeitsdeliktes rechtskräftig verurteilt worden sei oder nicht. Es lägen konkrete Hinweise auf Aktionen gewaltbereiter Globalisierungsgegner vor.

Die Meldeauflagen nach § 3 Abs. 1 SächsPolG seien geeignet, den Kläger von gewalttätigen Störungshandlungen während des G8-Gipfels abzuhalten. Die Festsetzung der Gewahrsamnahme gem. § 22 SächsPolG werde nach Nichtbefolgung der Meldepflicht erfolgen. Der Kläger sei als Veranlasser zur Zahlung der Verwaltungskosten nach § 2 Abs. 1 SächsVwKG verpflichtet. Hiergegen legte der Kläger unter dem 29.5.2007 Widerspruch ein und stellte zugleich beim Verwaltungsgericht Dresden den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Diesen lehnte das Gericht mit Beschluss vom 4.6.2007 (Az. 14 K 1016/07) ab.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.8.2007 stellte das Regierungspräsidium Dresden das Widerspruchsverfahren hinsichtlich der Verfügungen in den Ziffern 1 bis 3 des Ausgangsbescheides ein und wies den Widerspruch hinsichtlich der darin getroffenen Kostenentscheidung zurück. Es erlegte dem Kläger die Kosten des Verfahrens auf und setzte Gebühren in Höhe von 93,04 € fest. Das Regierungspräsidium führte darin u.a. aus, dass der Kläger den Meldeauflagen nicht nachgekommen sei. In Gleneagles sei der Kläger im Zusammenhang mit demonstrativen Organisationen am 6.7.2005 wegen Landfriedensbruchs festgenommen worden. Zu jenem Zeitpunkt habe dort ebenfalls ein G8-Gipfel stattgefunden. Nachdem der Kläger dort nicht vor Gericht erschienen sei, sei er mit Sicherungshaftbefehl in Schottland ausgeschrieben worden. Die Ortspolizeibehörde habe bei Würdigung der Gesamtumstände zu der Einschätzung kommen müssen, dass der Kläger zu einem gewaltbereiten Personenkreis gehöre und insbesondere auch gewaltbereites und -tätiges Verhalten bei Demonstrationen und Protestaktionen zeige. Damit habe für die Beklagte eine hinreichend reale Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Rahmen des G8-Gipfels in Heiligendamm bestanden. Die Meldeauflagen seien auch angemessen, da es kein milderes geeignetes Mittel gegeben habe. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 30.8.2007 zugestellt.

Der Kläger hat am 1.10.2007 Klage erhoben.

Er trägt im Wesentlichen vor, er habe unter den Gesichtspunkten der Wiederholungsgefahr und des Grundrechtseingriffs in Art. 8 GG ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der gegen ihn verfügten Auflage. Die Meldeauflage sei materiell rechtswidrig. Die Beklagte habe nur pauschal behauptet, ihr würden konkrete Hinweis vorliegen, dass es zum Zusammentreffen von gewaltbereiten Globalisierungsgegnern kommen solle, die gewalttätige Protestaktionen initiieren wollten. Sie habe diese nicht näher benannt.

Die Gefahrenprognose bezüglich seiner Person sei nicht begründbar. Im Einzelnen: Der Vorwurf, dass er am 6.4.2002 bei einer Protestaktion gegen einen "Naziaufmarsch" Polizeibeamte mit Steinen und Flaschen beworfen habe, sei Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft gewesen, das mit einer Verwarnung geendet habe (Az. xy). Auf einer Videodokumentation sei zu sehen gewesen, wie er einen Stein aufgehoben habe. Den Vorwurf des Flaschenwurfs habe es nie gegeben. Die Tat sei seinem damaligen Alter von 17 Jahren geschuldet gewesen. Der Vorwurf, dass er am 24.1.2004 an mehreren Funkstreifenwagen die Reifen zerstochen habe, sei Gegenstand des Ermittlungsverfahrens Az. xy gewesen, das mangels Tatverdachts nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden sei. Der Einstellung habe ein anthropologisches Gutachten von Prof. Rösing in Ulm zugrunde gelegen, wonach der Kläger mit dem Täter sehr wahrscheinlich nicht identisch sei. Der Vorwurf, am 6.2.2004 in F. ein Fahrzeug in Brand gesetzt zu haben, habe auf der rechtswidrigen Sicherstellung einer CD-Rom aus seinem Pkw beruht, auf der u.a. ein Foto des Fahrzeugs in unbeschädigtem Zustand zu sehen gewesen sei. Das Ermittlungsverfahren (Az . xy) sei gem. § 170 Abs. 2 StPO mangels Tatverdachts eingestellt worden. Der Vorwurf, am 21.3.2004 den Verbindungsdraht einer Videoüberwachungsanlage auf dem Parkplatz vor einer Polizeiwache zerschnitten zu haben, sei mit Gegenstand des Verfahrens gewesen. Das dortige anthropologische Gutachten habe zur Einstellung des Verfahrens geführt. Im Übrigen sei die Videoanlage später funktionstüchtig gewesen. Der Vorwurf, am 9.11.2005 eine Person genötigt zu haben, ihre Jacke auszuziehen, um diese zu verbrennen, sei Gegenstand des Ermittlungsverfahrens Az. xy gewesen, das mit Verfügung der Staatsanwaltschaft rechtswidrig gem. § 154 Abs. 1 StPO eingestellt worden sei im Hinblick auf das Verfahren Az. xy. Letzteres sei im Spätsommer 2006 mangels Tatverdachts gern. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Daraufhin sei das Verfahren wegen der vorangegangenen Tat nicht wieder aufgenommen worden. Es habe andernfalls eine Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO erfolgen müssen. Die Beklagte benenne sodann undifferenziert das Vorliegen von 18 weiteren Sachbeschädigungen, zwei gefährlichen Körperverletzungen, schwerer Brandstiftung sowie Verstößen gegen das Betäubungsmittel- und Waffengesetz. Seine Prozessbevollmächtigte, die ihn seit mehreren Jahren vertrete, führe eine Liste der gegen ihn geführten annähernd 30 Verfahren. In sämtlichen Fällen sei es bis auf den hier an erster Stelle aufgeführten Fall zu keiner Verurteilung gekommen. Die Verfahren seien nicht einmal zur Anklage gelangt. Es habe in den überwiegenden Fällen nicht einmal ein Anfangsverdacht vorgelegen. Seine Angehörigkeit zur linken Szene genüge offensichtlich für einen Generalverdacht. Das habe auch das Amtsgericht F. (Az. xy) in seinem Beschluss vom 22.8.2005 so gesehen zum Ermittlungsverfahren wegen Brandstiftung, Az. xy. Er habe daher als unschuldig zu gelten. Jene Verfahren könnten die Prognose der Beklagten nicht stützen. Wenn nicht auf rechtskräftige Verurteilungen abgestellt würde, habe es die Verwaltung in der Hand, selbst die Grundlagen zu schaffen, auf denen ihre Prognose beruhe. Sein Fall sei dafür ein klassisches Beispiel. Darüber hinaus handle es sich bis auf den erstgenannten Fall um nicht anlassbezogene Sachverhalte. Die Prognose der Beklagten beruhe nur auf den undifferenzierten und stichpunktartigen Angaben im Schreiben des LKA Sachsen vom 21.5.2007. Der Ausgang und die Verfahrenshintergründe würden nicht berücksichtigt; diese seien der Beklagten wahrscheinlich gar nicht bekannt. Die Verwarnung aus dem Jahr 2002 reiche für sich genommen nicht aus. Es müsse unter Berücksichtigung aller Umstände geprüft werden, ob die herangezogene Tatsache im Zeitpunkt der Entscheidung über die Meldeauflage noch so schwer wiege, dass die Annahme einer hinreichend konkreten Gefahrenlage weiterhin gerechtfertigt sei. Diese Anforderungen erfülle die Auflistung nicht. Es habe eine Belastungstendenz der immer gleichen Ermittlungsbeamten bestanden, ihn als Tatverdächtigen zu ermitteln. Der Kläger macht zu den einzelnen Ermittlungs/Strafverfahren weitere Ausführungen. Die Prozessbevollmächtigte führt weiter aus, dass ein Vorkommnis in Gleneagles "hier nicht bekannt" sei.

Der Kläger beantragt, 1. den Bescheid der Beklagten vom 25. 5.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.8.2007 hinsichtlich der Kostenentscheidungen aufzuheben, 2. festzustellen, dass die mit Bescheid der Beklagten vom 25.5.2007 gegen ihn für die Zeit vom 6. bis 8.6.2007 verfügte Meldeauflage rechtswidrig war und 3. die Hinzuziehung im Vorverfahren für notwendig zu erklären. Die Beklagte beantragt Klageabweisung.

Sie bezieht sich zur Begründung auf die Gründe des Ausgangs- und Widerspruchsbescheides, auf das Urteil des BVerwG vom 25.7.2007 (Az. 6 C 39/06) und auf ihren Vortrag im Eilverfahren, wonach wegen Gefahr in Verzugs keine Anhörung erforderlich gewesen sei. Es komme darauf an, wann der Ordnungsbehörde bekannt werde, dass der einschlägig vorbelastete Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit neue Straftaten begehen werde. Sie habe erst am 22.5.2007 nach Eingang des Ersuchens des LKA von der strafrechtlichen Vorgeschichte des Klägers erfahren. Die Meldeauflage habe keinen Aufschub geduldet. Es sei nicht bekannt gewesen, wann der Kläger nach Heiligendamm abreise. Ein Anhörungsmangel wäre außerdem zwischenzeitlich geheilt. Die Gefahrenprognose bzgl. gewalttätiger Ausschreitungen während des Gipfels beruhe auf Erfahrungen aus der Vergangenheit und bekannt gewordenen Aufrufen im Vorfeld zu jenem Gipfel. Die Prognose habe sich zwischenzeitlich auch bestätigt (wird weiter ausgeführt). Die Angaben zu etwaigen Verfahrenseinstellungen seien durch sie, die Beklagte, kurzfristig nicht überprüfbar und müssten bestritten werden. Die Unschuldsvermutung gelte für Sanktionsmaßnahmen, nicht hingegen für polizeiliche Präventivmaßnahmen. Dass der Kläger innerhalb von weniger als 10 Jahren bislang in ca. 30 Fällen, die nahezu ausschließlich als politisch motivierte Gewalttaten gegen Personen oder Sachen zu qualifizieren seien, polizeilich als Tatverdächtiger geführt werde, genüge für die Prognose, dass der Kläger künftig entsprechende Straftaten begehe. Dass zwischen dem letzten bekannt gewordenen Delikt und der Meldeauflage ca. 1 ½ Jahre liegen würden, stehe der Meldeauflage nicht entgegen, da gewalttätige Demonstranten meist maskiert oder aus der Deckung eines Demonstrationszuges agieren würden und nur selten identifiziert werden könnten. Die politische Gesinnung des Klägers sei nicht maßgebend gewesen. Obgleich aus ihrem Zuständigkeitsbereich eine Vielzahl von politisch links-orientierten Personen zu Gegenveranstaltungen an die Ostsee gereist seien, sei sie von der Polizei nur in diesem Fall um eine Meldeauflage ersucht worden. Grund sei, dass der Kläger in der Vergangenheit nicht lediglich eine bestimmte politische Ansicht vertreten habe, sondern dass er hierbei nach polizeilichen Erkenntnissen mehrfach die Grenzen der Strafbarkeit überschritten habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie der beigezogenen Akten der Staatsanwaltschaft F. Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig.

Die für das Anfechtungsbegehren im Klageantrag zu 1. geltende Klagefrist nach § 74 VwGO von einem Monat ab Zustellung des Widerspruchsbescheides ist gewahrt. Der Widerspruchsbescheid der Landesdirektion Dresden wurde dem Kläger am 30. August 2007 zugestellt. Da der 30. September 2007 ein Sonntag war, endete die Frist am 1. Oktober 2007 (§ 57 Abs. 1 und 2 iV.m. § 222 Abs. 1 und 2 ZPO iV.m. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB). Hinsichtlich der durch Zeitablauf erledigten Meldeauflage ist die Fortsetzungsfeststellungsklage im Antrag zu 2. nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog statthaft. Ein besonderes Feststellungsinteresse an der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Verfügung ist sowohl unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr als auch dem des Rehabilitationsinteresses und angesichts der mit der Meldeauflage verbundenen Eingriffe in seine Grundrechte der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), der Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG) und der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) zu bejahen.

Die Klage ist auch begründet.

Die von der Beklagten mit Bescheid vom 25.5.2007 verfügte Meldeauflage gegen den Kläger war rechtswidrig und verletzte ihn in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog). In Folge dessen ist die Kostenforderung in Ziffer 4 des Bescheides der Beklagten vom 25.5.2007 rechtswidrig und aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Ermächtigungsgrundlage für die Meldeauflage ist die polizeiliche Generalklausel des § 3 Abs. 1 SächsPolG. Diese wird weder durch das Versammlungsgesetz noch durch den speziellen Eingriffstatbestand des § 18 SächsPolG verdrängt. Grundsätzlich gilt zwar, dass das Versammlungsgesetz die Befugnisse zur Beschränkung der Versammlungsfreiheit abschließend regelt und polizeiliche Maßnahmen gegen Teilnehmer einer öffentlichen Versammlung nur auf der Grundlage des Versammlungsgesetzes getroffen werden können (vgl. etwa VGH BW, Urt. v. 26.01.1998, NVwZ 1998, 761). Das Versammlungsgesetz enthält jedoch keine Ermächtigung zu polizeilichen Maßnahmen, die - wie hier - im Vorfeld einer Versammlung ergriffen werden, so dass die Spezialität des Versammlungsgesetzes insoweit Maßnahmen der Gefahrenabwehr auf der Grundlage des Polizeirechts grundsätzlich nicht entgegensteht (vgl. VGH BW, Urt. v. 16.11.1999, 1 S 1315/98, zit. nach juris). § 18 Abs. 2 SächsPolG, der die polizeiliche Vorladung regelt, war als speziellere Vorschrift nicht anwendbar, da die Beklagte mit der Meldeauflage andere als die in § 18 Abs. 2 SächsPolG genannten Ziele verfolgt (vgl. Urt. des OVG Berlin-Brandenburg v. 21.03.2006, 1 B 7.04, zit. nach juris).

Nach der polizeilichen Generalklausel des § 3 Abs. 1 SächsPolG kann die Polizei die erforderlichen Maßnahmen treffen, um eine im Einzelfall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, soweit die Befugnisse der Polizei nicht besonders geregelt sind. Von dem Begriff der öffentlichen Sicherheit werden Individualrechtsgüter, wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Vermögen, und auch Gemeinschaftsgüter, wie die verfassungsmäßige Ordnung, der Bestand und die Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen, erfasst. Eine Gefahr für diese polizeilichen Schutzgüter ist gegeben, wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zum Eintritt eines Schadens führt. Zur Rechtfertigung einer Meldeauflage bedarf es einer konkreten Gefahrenlage. In Anbetracht der Hochwertigkeit der zu schützenden Rechtsgüter reicht eine hinreichende, d.h. mehr als nur geringfügige, Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts aus (vgl. BVerwG, Urt. vom 25.7.2007, Az. 6 C 39/06, zit. nach juris).

Unter Beachtung dieser Grundsätze war die Meldeauflage gegenüber dem Kläger hier nicht gerechtfertigt.

Die von der Beklagten getroffene Gefahrenprognose, die vom Gericht aus der sog. ex-ante-Sicht überprüft wird, beruhte zunächst auf einer fehlerhaften sachlichen Grundlage. Ihr lag die Annahme zugrunde, der Kläger habe in den Jahren 2002 bis 2005 die in den Bescheidgründen angeführten Straftaten begangen. So hält die Beklagte dem Kläger darin vor, dass er (1.) am 6.4.2002 Polizeibeamte mit Steinen und Flaschen beworfen, dass er (2.) am 24.1.2004 an mehreren Funkstreifenwagen die Reifen zerstochen, dass er (3.) am 6.2.2004 ein Fahrzeug in Brand gesetzt, dass er (4.) am 21.3.2004 den Verbindungsdraht einer Videoüberwachungsanlage der Polizei zerschnitten und (5.) am 9.11.2005 eine Person genötigt habe, ihre Jacke auszuziehen, um diese zu verbrennen. Weiterführende Delikte sowie Verstöße gegen das Betäubungsmittel- und Waffengesetz seien ihr, der Beklagten, bekannt geworden. Als "gewaltbereite Person" sei der Kläger "als Störer einschlägig aufgefallen". Die hier kurz wiedergegebenen Ausführungen machen deutlich, dass die Beklagte bei ihrer Prognoseentscheidung von einer Vielzahl von durch den Kläger begangenen Straftaten ausging. Bis auf den Landfriedensbruch 2002 hatten jedoch sämtliche Verfahren durch Freisprüche oder Einstellungen (nahezu ausschließlich nach § 170 Abs. 2 StPO) geendet. Dieser Irrtum der Beklagten beruhte auf der unpräzisen Mitteilung des Landeskriminalamtes Sachsen vom 21.5.2007. Darin regte das Landeskriminalamt eine Meldeauflage gegen den Kläger an, der "bereits mehrfach polizeilich in Erscheinung getreten" sei. Bei der nachfolgenden Aufzählung von Verfahren stellte das Landeskriminalamt nicht erkennbar heraus, ob es sich nur um Ermittlungsverfahren handelte und welchen Gang bzw. Ausgang diese genommen hatten. Die "weiterführenden Delikte mit 18 Sachbeschädigungen und zwei gefährlichen Körperverletzungen, schwere Brandstiftung" usw. wurden vom Landeskriminalamt bereits nicht näher (durch Angabe des Aktenzeichens und des Zeitpunktes der Tatbegehung) bezeichnet. Die dem Vorwurf wohl zugrunde liegenden Verfahren wurden, soweit an hand der vorliegenden Akten ersichtlich, gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt (im Einzelnen vgl. nachfolgende Ausführungen). Die Beklagte hat die Behauptung der Straffälligkeit dennoch gleichermaßen pauschal in ihren Bescheid übernommen. Eine Nachfrage und Überprüfung erfolgte durch sie nicht. Da sie auch von einer kurzfristigen Anhörung des Klägers vor Erlass des Bescheides absah, begab sie sich der Möglichkeit einer rechtzeitigen Korrektur.

Die Gefahrenprognose bezüglich der Person des Klägers wäre auch bei Zugrundelegung eines zutreffenden Sachverhalts nicht haltbar gewesen. Eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch den Kläger während des G8-Gipfels in Heiligendamm konnte aus den gegen ihn geführten Ermittlungs- bzw. Strafverfahren nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit hergeleitet werden. Nach Auswertung der in diesem Verfahren beigezogenen Akten der Staatsanwaltschaft F. sieht das Gericht - abweichend von der Einschätzung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (Beschl. vom 4.6.2007, Az. 14 K 1016/07) - die Annahme, der Kläger gehöre zu einer Gruppierung gewaltbereiter Aktivisten der linksextremistischen Szene, die ihre Teilnahme an Demonstrationen regelmäßig zur Ausübung von Gewalttätigkeiten insbesondere gegen die Einsatzkräfte der Polizei nutzen würden, nicht bestätigt.

Für die Sichtung und Bewertung der Vielzahl der gegen den Kläger geführten Ermittlungsverfahren ist nach ständiger Rechtsprechung der Kammer nicht maßgeblich, ob diese in eine strafrechtliche Verurteilung mündeten. Die Vorfälle, auf die von der Beklagten zur Begründung der Meldeauflage zurückgegriffen wurde, sind jedoch einzeln und in Zusammenschau unter dem Aspekt zu prüfen, ob sich daraus insbesondere unter dem Blickwinkel der Art und Weise und der Zielrichtung der vorgeworfenen Taten hinreichende Anhaltspunkte für eine vom Kläger ausgehende Gefahr ergeben. Aus den vorliegenden Ermittlungsakten ergibt sich, dass der Kläger - unstreitig - in der sog. linken Szene aktiv ist. Eine Gewaltbereitschaft, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu Schäden an Rechtsgütern während des G8-Gipfels führen könnte, kann ihnen jedoch nicht entnommen werden. Der Kläger war danach in der Zeit nach seiner ersten Verurteilung 2002/2003 in den meisten Fällen Betroffener von Ermittlungsverfahren, weil er in der sog. linken Szene engagiert war und die aufzuklärenden Straftaten diesem Personenkreis zugeschrieben wurden. Dies gilt für ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Brandstiftung im Jahre 2006 (ausgebranntes Kfz), das gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde (Az. xy). Des Weiteren wurde gegen ihn und zwei weitere Mitglieder der linken Szene intensiv ermittelt in einer Reihe von Sachbeschädigungen (Graffiti und eingeworfene Scheiben) aus den Jahren 2003/2004 (verbunden zu dem Az. xy). Die Verfahren wurden nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Im Verfahren wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (im Zuge der Räumung eines besetzten leerstehenden Hauses) wurde der Kläger vom Amtsgericht F. freigesprochen, weil nicht festgestellt werden konnte, dass der Kläger tatsächlich mit Gewalt Widerstand gegen Diensthandlungen der Polizei geleistet (und das Stürzen einer Polizistin beim Wegtragen des Klägers nicht andere Gründe gehabt) hatte. Weitere Ermittlungsverfahren, die im Zusammenhang mit der Hausbesetzung geführt wurden (Az. xy), wurden gleichfalls nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt (u.a. wegen tatbestandsausschließendem Einverständnis des Hauseigentümers). Der Vorwurf des Zerstechens von Reifen an Polizeifahrzeugen und des Zerschneidens eines Drahtes einer Überwachungsanlage (Az. xy) wurde fallengelassen, nachdem ein anthropologisches Gutachten ergeben hatte, dass der Kläger sehr wahrscheinlich mit dem Täter nicht identisch sei (während der gleichfalls begutachtete A sehr wahrscheinlich mit dem Täter identisch sei). Das Ermittlungsverfahren wegen der Nötigung eines Dritten, seine Jacke mit Thor-Steinar-Label auszuziehen, wurde gegen den Kläger gleichfalls nur wegen seiner Zugehörigkeit zur linken Szene eröffnet (Az. xy). Eine Tatbeteiligung des Klägers wurde nur vermutet. Das Verfahren wurde nach § 154 Abs. 1 StPO mit Blick auf das Verfahren Az. xy als nachrangig eingestellt und nachfolgend, nach der Einstellung dieses „Leitverfahrens" nach § 170 Abs. 2 StPO, nicht wieder aufgenommen. Als Verurteilungen liegen vor: Das - für die vorliegende Gefahreneinschätzung zu würdigende, weil einschlägige - Urteil des Amtsgerichts F. vom 20.1.2003 wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung und besonders schwerem Fall des Landfriedensbruch (Steinwurf auf einen Polizisten während einer Demonstration im April 2002). Der damals 17jährige Kläger wurde verwarnt und ihm wurden 20 Stunden gemeinnütziger Arbeit auferlegt. Und ein weiteres - für die Beurteilung einer vom Kläger ausgehenden möglichen Gefahr bei einer Teilnahme an Demonstrationen in Heiligendamm nicht aussagekräftige - Urteil des Amtsgerichts F. vom 15.5.2006 wegen Diebstahls von zwei Scart-Kabeln (1,99 €) und einer Packung Amicelli (1,49 €). Der Kläger wurde damals zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen a 10 € verurteilt (Az. xy). Die Tat wurde gemeinsam mit damaligen Freunden begangen, die sich auf gleiche Weise mit Rum und Nahrungsmitteln versorgten.

Zu dem schottischen Sicherungshaftbefehl wurde von der Beklagten nichts Konkretes vorgetragen und keine Belege vorgelegt. Eine fernmündliche Nachfrage des Gerichts beim Landeskriminalamt ergab hierzu keine Erkenntnisse. Des Weiteren wurde mitgeteilt, dass bezüglich des Klägers keine Eintragung im landesinternen PASS vorhanden ist. Es gebe eine Eintragung im INPOL von F., wonach der Kläger Betäubungsmittelkonsument sei. Diese Feststellung sei in folgendem Zusammenhang erfolgt: 2007 habe der Kläger in F. als Teil einer Antifa-Gruppe eine Spontan-Demo gegen einen NPD-Infostand durchführen wollen. Platzverweisen durch die Polizei sei nicht nachgekommen worden. Der Versuch, eine Person in Gewahrsam zu nehmen, habe mit dem Schlag auf den Kopf eines Polizisten geendet. Auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts, ob gegen den Kläger als Täter ermittelt worden sei, wurde erklärt, dass sich aus der Eintragung im INPOL ein solcher Vorwurf nicht ergebe.

Die Verurteilung des Klägers wegen der versuchten schweren Körperverletzung und besonders schwerem Fall des Landfriedensbruchs, begangen im Jahre 2002, die Anwesenheit des Klägers bei dem Demonstrationsgeschehen im Jahre 2007 und sein fortgesetztes Engagement in der linken Szene reichten unter Berücksichtigung und Bewertung der unterbreiteten Sachverhalte aus Sicht der Kammer (noch) nicht aus, um im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides (ex-ante-Sicht) von einer Gewaltbereitschaft auf Seiten des Klägers auszugehen, die eine Meldeauflage für den G8-Gipfel in Heiligendamm rechtfertigen konnte.

Unter diesen Umständen kann die Gebühren- und Kostenforderung der Beklagten für den von ihr am 25.5.2007 erstellten Meldeauflagen-Bescheid keinen Bestand haben. Der Kläger hat die Amtshandlung nicht i.S.v. § 2 Abs. 1 SächsVwKG veranlasst. Ziffer 4 des angefochtenen Bescheides war daher aufzuheben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Hinzuziehung der Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren war angesichts der Bedeutung und tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeit dieser Sache notwendig (§ 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO).

Die Berufung wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO nicht vorliegen.

Kommentar

Das Urteil ist insbesondere interessant aufgrund der Auseinandersetzung mit der von Seiten der Behörde vorgebrachten Vielzahl von Ermittlungsverfahren, die gegen den Betroffenen nur wegen dessen Zuordnung zur linken Szene durch die Polizei eingeleitet und fast alle nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurden. Das Gericht meint zwar, dass nicht maßgeblich sei, ob Ermittlungsverfahren in eine strafrechtliche Verurteilung münden - sie müssten aber einzeln und in Zusammenschau unter dem Aspekt geprüft werden, "ob sich daraus insbesondere unter dem Blickwinkel der Art und Weise und der Zielrichtung der vorgeworfenen Taten hinreichende Anhaltspunkte für eine vom Kläger ausgehende Gefahr ergeben".