Titel

OVG Münster, Beschluss vom 22.09.2020, Az. 15 B 1421/20


Klimacamp und Versammlungsfreiheit

 


Zitiervorschlag: OVG Münster, Beschluss vom 22.09.2020, Az. 15 B 1421/20, zitiert nach POR-RAV


Gericht:

Aktenzeichen:

Datum:


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Ein beabsichtigter Versammlungsort kann nicht "einfach so" verlegt werden. Der Anmelder bestimmt den Ort.

Anmeldungen sind versammlungsfreundlich zu behandeln.

Leitsatz

1. Die Behörde hat im Normalfall lediglich zu prüfen, ob durch die Wahl des konkreten Versammlungsorts Rechte anderer oder sonstige verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter der Allgemeinheit beeinträchtigt werden.

2. Auch ein Landschaftsschutzgebiet kann Versammlungsort sein.

Volltext

TENOR

Der angefochtene Beschluss wird teilweise geändert.

Die aufschiebende Wirkung einer noch zu erhebenden Klage des Antragstellers wird hinsichtlich der Auflage unter Ziffer 1. der Verfügung des Antragsgegners vom 18. September 2020 wiederhergestellt.

Die Entscheidung über die Kosten und den Streitwert bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

GRÜNDE

I. Der Antragsteller meldete für die Zeit vom 23. bis 28. September 2020 eine Dauerversammlung unter freiem Himmel in Form eines Camps unter dem Motto "Klimagerechtigkeit jetzt" mit voraussichtlich 500 Teilnehmern und Teilnehmerinnen an. Mit Anmeldebestätigung vom 18. September 2020 verfügte der Antragsgegner – soweit Gegenstand des Beschwerdeverfahrens - unter Anordnung der sofortigen Vollziehung eine Verlegung des Versammlungsortes (Ziffer 1. der Verfügung) sowie die Erhebung der persönlichen Daten der Teilnehmenden zum Zweck der Rückverfolgbarkeit im Interesse des Infektionsschutzes (Ziffer 9. m). Insoweit hat das Verwaltungsgericht den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt. Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.

II. Wegen der besonderen Dringlichkeit der notwendigen Aufbauarbeiten und unter Berücksichtigung des Gebots der Gewährung effektiven - hier: rechtzeitigen – Rechtsschutzes entscheidet der Senat im Wege eines Teilbeschlusses unter analoger Anwendung von § 110 VwGO über die Beschwerde des Antragstellers zunächst nur hinsichtlich der Auflage unter Ziffer 1. im Bescheid des Antragsgegners vom 18. September 2020 betreffend den Versammlungsort.

Die Beschwerde des Antragstellers hat insoweit Erfolg. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe führen zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung. Die angegriffene Auflage erweist sich bei der im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als voraussichtlich rechtswidrig, so dass die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende lnteressenabwägung zugunsten des Antragstellers ausfällt.

Gemäß § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.

Ist eine versammlungsbehördliche Verfügung auf eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit gestützt, erfordert die von der Behörde und den befassten Gerichten angestellte Gefahrenprognose tatsächliche Anhaltspunkte, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen nicht aus. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde.

- Vgl. etwa BVerfG, Beschlüsse vom 20. Dezember 2012 - 1 BvR 2794/10 -, juris Rn. 17, vom 12. Mai 2010 - 1 BvR 2636/04 -, juris Rn. 17, vom 4. September 2009 - 1 BvR 2147/09 -, juris Rn. 9 und 13, vom 26. April 2001 - 1 BvQ 8/01 -, juris Rn. 11 f.

Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde auch bei dem Erlass von Auflagen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen.

- Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 20. Dezember 2012 - 1 BvR 2794/10 -, juris Rn. 17, vom 5. September 2003 - 1 BvQ 32/03 -, juris Rn. 30, und vom 14. Mai 1985- 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, juris Rn. 79.

Geht es - wie hier - um die Verlegung der Versammlung von dem angemeldeten an einen anderen Ort, ist zu berücksichtigen, dass von dem Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters nach Art. 8 Abs. 1 GG prinzipiell auch die Auswahl des Orts und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung umfasst ist. Die Behörde hat im Normalfall lediglich zu prüfen, ob durch die Wahl des konkreten Versammlungsorts Rechte anderer oder sonstige verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter der Allgemeinheit beeinträchtigt werden. Ist dies der Fall, kann der Veranstalter die Bedenken durch eine Modifikation des geplanten Ablaufs ausräumen oder aber es kommen versammlungsrechtliche Auflagen in Betracht, um eine praktische Konkordanz beim Rechtsgüterschutz herzustellen.

Art. 8 Abs. 1 GG und dem aus ihm abgeleiteten Grundsatz versammlungsfreundlichen Verhaltens der Versammlungsbehörde entspricht es, dass auch bei Auflagen das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters im Rahmen des Möglichen respektiert wird. Ferner ist von Bedeutung, ob durch die Auflage die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit beseitigt werden kann, ohne den durch das Zusammenspiel von Motto und geplantem Veranstaltungsort geprägten Charakter der Versammlung - ein Anliegen ggf. auch mit Blick auf Bezüge zu bestimmten Orten oder Einrichtungen am wirksamsten zur Geltung zu bringen – erheblich zu verändern.

- Vgl. insoweit etwa BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 2015 - 1 BvQ 25/15 -, juris Rn. 9, Urteil vom 22. Februar 2011 - 1 BvR 699/06 -, juris Rn. 64, Beschlüsse vom 2. Dezember 2005 - 1 BvQ 35/05 -, juris Rn. 23 ff., vom 5. September 2003- 1 BvQ 32/03 -, juris Rn. 38, vom 4. Januar 2002 - 1 BvQ 1/02 -, juris Rn. 3, und vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, juris Rn. 61 - Brokdorf; OVG NRW, Urteil vom 4. Februar 2020 - 15 A 355/19 -, juris Rn. 39 m.w. N.

Wenn - wie hier - die Versammlung auf einer als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesenen öffentlichen Grünanlage in Form eines Camps abgehalten werden soll, müssen in Anbetracht der dem Schutzzweck der Ausweisung als Landschaftsschutzgebiet zugrunde liegenden Rechtsgüter nachhaltige Beeinträchtigungen verhindert und die diesbezüglichen Risiken für die öffentliche Hand möglichst gering gehalten werden,

- vgl. - in Bezug auf eine als Parkanlage gewidmete Fläche - BVerfG, Beschluss vom 28. Juni 2017 - 1 BvR 1387/17 -, juris Rn. 29; Hamb. OVG, Beschluss vom 5. Juli 2017 - 4 Bs 148/17 -, juris Rn. 63.

Auch diese Belange müssen jedoch mit der grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit in einen verhältnismäßigen Ausgleich gebracht werden.

- Vgl. - wiederum in Bezug auf eine Parkanlage - BVerfG, Beschluss vom 28. Juni 2017 - 1 BvR 1387/17 -, juris Rn. 29; Hamb. OVG, Beschluss vom 5. Juli 2017 - 4 Bs 148/17 -, juris Rn. 63.

Gemessen an diesen Maßstäben erweist sich die Auflage unter Ziffer 1. bei der hier nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als rechtswidrig.

Der Antragsgegner hat die Verlegung des Camps von der als Versammlungsfläche angemeldeten Wiese am nordöstlichen Ufer des Fühlinger Sees auf den Parkplatz im Süden des Sees damit gerechtfertigt, dass die begehrte Fläche Teil des Landschaftsschutzgebietes "Fühlinger See und Freiraum östlich Fühlingen" und deshalb naturschutzfachlich für den beabsichtigten Zweck nicht nutzbar sei. Laut Landschaftsplan sei jede Handlung untersagt, welche geeignet sei, das Wachstum oder den Fortbestand der Pflanzenarten nachteilig zu beeinflussen. Bei einem mehrtägigen durchgehenden Aufenthalt von 500 Personen auf dem Landschaftsschutzgelände sei eine Beschädigung oder nachteilige Beeinflussung des Fortbestands der sich auf dem Gelände befindlichen Pflanzen nicht zu vermeiden. Dies gelte auch für die dort ansässigen wildlebenden Tiere, bei welchen eine Beeinträchtigung derer Puppen, Larven, Eier, Nester und sonstigen Brut oder Wohnstätten sowie eine Behinderung deren Fortpflanzung zu erwarten sei.

Auch sei eine Veränderung der Bodengestalt, wie sie bei Zeltlagern regelmäßig eintrete, aus landschaftsschutzrechtlichen Aspekten nicht hinnehmbar. Die unvermeidbare Lagerung von Abfällen für die Zeit der Veranstaltung sei aus den dargelegten Aspekten heraus an diesem Ort nicht möglich.

Diese Begründung dürfte im Ergebnis die verfügte Verlegung des Versammlungsortes nicht rechtfertigen. Insbesondere lassen die Ausführungen des Antragsgegners eine Auseinandersetzung mit dem Umstand vermissen, dass laut den textlichen Festsetzungen des Landschaftsplans der Stadt Köln (Abschnitt 3.3.1, S. 189 der digitalen Version) eine Ausnahme von den für Landschaftsschutzgebiete festgesetzten Verboten für Maßnahmen erteilt wird, die weder den Charakter des Gebietes verändern noch dem besonderen Schutzzweck zuwiderlaufen.

Unter dieser Prämisse erteilt die Stadt Köln regelmäßig - i. d. R. jährlich - eine Ausnahmegenehmigung zur Durchführung des "Summerjam"-Festivals, das im Uferbereich des Fühlinger Sees unter Inanspruchnahme von Flächen durchgeführt wird, die ebenfalls Teil des Landschaftsschutzgebietes sind. An dem mehrtägigen Festival nehmen nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben des Antragstellers etwa 30.000 Menschen teil, von denen ein Großteil ebenfalls auf unmittelbar am See gelegenen Grünflächen zeltet. Zudem werden dort große Bühnen, Toiletten und sonstige Infrastruktur, wie etwa Imbiss- und Getränkewagen aufgebaut.

- Vgl. dazu die Darstellung des Veranstaltungsgeländes, abrufbar unter https://summerjam.de/ (abgerufen am 22. September 2020).

Es ist weder vom Antragsgegner hinreichend dargelegt noch sonst ersichtlich, dass die materiellen Voraussetzungen eines landschaftsschutzrechtlichen Dispenses zwar für diese regelmäßige Großveranstaltung, nicht aber für die streitgegenständliche Versammlung vorliegen. Die Pflanzen- und Tierwelt des Landschaftsschutzgebietes dürfte durch das erwähnte Festival schon wegen seiner Größe in erheblich größerem Ausmaß in Mitleidenschaft gezogen werden als durch das Protestcamp; entsprechendes gilt für die vom Antragsgegner angeführten Beeinträchtigungen, die durch das Zelten und Lagern im Übrigen zu befürchten seien.

Der vom Antragsgegner herangezogene Umstand, dass sich der Veranstalter des Festivals einer umfangreichen Haftung für jegliche Schäden unterwerfe, führt zu keinem anderen Ergebnis. Aus diesem Vorbringen ergibt sich schon nicht, welche (landschaftsschutzrechtlich relevanten) Schadensereignisse durch diese Haftung abgedeckt werden. Insbesondere erschließt sich aber nicht, wie durch eine solche nachträgliche Haftung die oben erwähnten Störungen von Pflanzen und Tieren ausgeschlossen werden, welche der Antragsgegner für die Verlegung des Versammlungsortes allein angeführt hat. Dass die vom Protestcamp angemeldete konkrete Uferfläche aus naturschutzrechtlicher Sicht anders zu bewerten ist, als die sonstigen, vom "Summerjam"-Festival genutzten Grünflächen am See, ist ebenfalls weder dargelegt noch sonst ersichtlich.

Es liegt auch im Übrigen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der versammlungsfreundlichen Auslegung nicht auf der Hand, dass die Durchführung des streitgegenständlichen Protestcamps wegen der Ausweisung der ins Auge gefassten Versammlungsfläche als Landschaftsschutzgebiet ausgeschlossen wäre. Dass die materiellen Voraussetzungen für eine Ausnahme von den für Landschaftsschutzgebiete festgesetzten Verboten fehlen, weil das Protestcamp den Charakter des Gebietes verändern oder dem besonderen Schutzzweck des Landschaftsschutzgebietes zuwiderlaufen würde, ist - selbst wenn man eine gewisse Beeinträchtigung der Schutzzwecke konzediert - nicht ersichtlich. Ausweislich des Landschaftsplans (Abschnitt 3.3.2 L 6, S. 214 f. der digitalen Version) ist das Landschaftsschutzgebiet "Fühlinger See und Freiraum östlich Fühlingen" festgesetzt worden

- zur Erhaltung und Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts, insbesondere durch Sicherung stadtklimatisch wichtiger Freiräume sowie ökologisch bedeutsamer Ausgleichsräume und Grünverbindungen;

- wegen der Eigenart und Schönheit des Landschaftsbildes im Bereich der Alluvial- Rinne östlich des Fühlinger Sees und des Ortsrandes von Fühlingen sowie - wegen der besonderen Bedeutung für die Erholung.

Eine nachhaltige Beeinträchtigung dieser Ziele durch das Camp, die im Rahmen der Abwägung mit der grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit die Verlegung des Versammlungsortes rechtfertigen könnte, erscheint eher fernliegend. Dies gilt insbesondere auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass das Gelände rings um den Fühlinger See in großem Ausmaß ständig für kulturelle und sportliche Zwecke genutzt wird. So fand dort etwa - neben dem vom Antragsgegner als "Ausnahme" bezeichneten "Summerjam"-Festival -auch das mehrtägige "Mittelalterlich Phantasie Spectaculum" mit Vorführungen und einem mehr als 1 00 Stände umfassenden Mittelaltermarkt statt.

- Siehe dazu https://www.koeln.de/koeln/was_ist_los/ topevents/mittelalterlich-phantasie-spectaculuminfos-und-tickets-zum-ritterfest-in-koeln_ 458051 .html (abgerufen am 22. September 2020).

Im Übrigen handelt es sich bei der begehrten Versammlungsfläche - soweit aufklärbar - um eine Wiesenfläche mit vereinzeltem Baumbestand, weshalb übermäßige Beeinträchtigungen von Flora und Fauna durch das Protestcamp eher nicht zu erwarten sein dürften. Dies gilt jedenfalls im Falle eines schonenden Umgangs mit der Fläche. Es spricht - auch unter Berücksichtigung der Erfahrungen der letzten Jahre mit vergleichbaren Veranstaltungen - nichts dagegen, dass ein solcher von den Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmern, denen Umweltschutzbelange ein besonderes Anliegen sind, zu erwarten ist.

Schließlich geht auch eine von den Erfolgsaussichten in der Hauptsache unabhängige lnteressenabwägung zu Gunsten des Antragstellers aus. Insofern ist auf der einen Seite zu berücksichtigen, dass konkrete landschaftsschutzrechtlich relevante Beeinträchtigungen nach dem Gesagten im Falle einer Nutzung der begehrten Fläche wohl nicht oder jedenfalls nicht in erheblichem Ausmaß zu befürchten sind. Auf der anderen Seite ist die Durchführung des Protestcamps auf der vom Antragsgegner zugewiesenen Parkplatzfläche mit größeren Beeinträchtigungen des Versammlungsgeschehens verbunden. Durch die in unmittelbarer Nähe befindliche Autobahn ist in gewissem Umfang mit Geräusch- und Abgasemissionen zu rechnen. Überdies eignet sich die in weiten Teilen betonierte Fläche nur sehr eingeschränkt für den Aufbau eines Zeltcamps.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).