Titel

OVG Lüneburg, Beschluss vom 14.07.2005, Az. 11 OB 1717/05
Für nachträglichen Rechtsschutz gegen polizeiliche Freiheitsentziehungen sind in Niedersachsen ausschließlich die ordentlichen Gerichte zuständig

 


Zitiervorschlag: OVG Lüneburg, Beschluss vom 14.07.2005, Az. 11 OB 1717/05, zitiert nach POR-RAV


Teaser

Die Entscheidung stellt klar, dass für jede Form der Freiheitsentziehung und der Behandlung während der Freiheitsentziehung in Niedersachsen die ordentlichen Gerichte zuständig sind. Für eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist in Freiheitsentziehungssachen kein Raum.

Volltext

TENOR:

Die Beschwerde des Klägers gegen den Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 3. Kammer - vom 19. Mai 2005 wird verworfen.

Zwar ist die Beschwerde gegen den am 25. Mai 2005 zugestellten Verweisungsbeschluss rechtzeitig innerhalb der zweiwöchigen Beschwerdefrist eingegangen, nämlich am 8. Juni 2005. Die Begründung der Beschwerde ist jedoch entgegen § 17 a Abs. 4 GVG i.V.m. § 146 Abs. 4 VwGO nicht binnen eines Monats nach Zustellung eingelegt worden. Diese Monatsfrist lief am 27. Juni 2005 ab, da der 25. Juni 2005 ein Sonnabend war. Die Begründung ist jedoch erst am 28. Juni 2005 und damit verspätet eingegangen.

Unabhängig davon bleibt die Beschwerde auch aus den vom Verwaltungsgericht genannten Gründen ohne Erfolg. Die Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht Dannenberg ist nicht zu beanstanden.

Der Kläger ist zusammen mit anderen Personen anlässlich des Castor-Transportes vom November 2003 in der Ortschaft Grippel am 12. November 2003 von 00.21 bis 05.05 Uhr eingekesselt worden. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht sich auf den Standpunkt gestellt, dass die Rechtmäßigkeit dieser Einkesselung/lngewahrsamnahme nicht im Verwaltungsrechtsweg überprüft werden könne, weil dafür die Amtsgerichte zuständig seien. Dies steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B. Beschl. v. 12.7.2005 — 11 ME 390/04-; v. 14.6.2004 - 11 LA 79/04—u.v.21.11.2003 - 11 PA 345/03- = NVwZ 2004, 761). Der Auffassung des Klägers, er sei als Nichtstörer in Anspruch genommen worden und nicht aufgrund einer polizeilichen Maßnahme nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 NGefAG (nunmehr § 18 Abs. 1 Nr. 2 Nds.SOG) und deswegen sei für die von ihm beantragte Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahme der Verwaltungsrechtsweg gegeben, trifft nicht zu. Der Kläger ist zusammen mit anderen von der Polizei in Gewahrsam genommen worden, ihm ist also die Freiheit entzogen worden. Zur Zuständigkeit der Amtsgerichte In diesen Fällen hat der Senat im Beschluss vom 12. Juli 2005 - 11 ME 390/04 - u.a. ausgeführt:

„Nach Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG bedarf es in den Fällen der Freiheitsentziehung einer gerichtlichen Entscheidung. Zwar sind Streitigkeiten über die Zulässigkeit einer polizeilichen Freiheitsentziehungsmaßnahme öffentlich-rechtlicher Natur und damit an sich Sache der Verwaltungsgerichte gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO; die Polizeigesetze aller Bundesländer erklären jedoch die Amtsgerichte (hier: § 19 Abs. 1 und 3 Nds. SOG; früher § 19 Abs. 1 und 3 NGefAG) für sachlich zuständig (vgl. Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 3. Aufl., RdNr. 538). Diese Lösung ist deshalb gewählt worden, weil die Amtsgerichte im allgemeinen ortsnäher als die Verwaltungsgerichte sind und auch sonst über Freiheitsentziehungen entscheiden (vgl. Rachor, a.a.O.; Waechter, Polizei- und Ordnungsrecht, 1. Aufl., RdNr. 693; Berner/Köhler, Polizeiaufgabengesetz, 17. Aufl., Art. 18 RdNr. 9). Die entsprechenden landesgesetzlichen Vorschriften stellen dabei sog. abdrängende Sonderzuweisungen im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO dar, wonach öffentlich-rechtliche Streitigkeiten auf dem Gebiet des Landesrechts auch durch Landesgesetz einem anderen als dem Verwaltungsgericht zugewiesen werden können (vgl. Finger, JuS 2005, 116, 119). Das niedersächsische Recht erstreckt – ebenso wie in Bayern, Berlin und Hamburg – die amtsgerichtliche Zuständigkeit darüber hinaus ausdrücklich auch auf ein nachträgliches Rechtsschutzbegehren für eine abgeschlossene Freiheitsentziehung (vgl. § 19 Abs. 2 NGefAG in der noch hier anzuwendenden Fassung vom 20.2.1998, Nds. GVBI. S. 101, 107; seit dem 19.12.2003 abgelöst von § 19 Abs. 2 Nds. SOG, Nds.GVBI. 2003, 414). Damit steht ein einheitlicher Rechtsweg zur Verfügung, so dass ein Nebeneinander der Gerichtsbarkeiten mit möglicherweise widersprechenden Entscheidungen vermieden werden kann. In den übrigen Bundesländern bleiben dagegen für Klagen, die auf die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit einer polizeilichen Freiheitsentziehung gerichtet sind, mangels Sonderregelung die Verwaltungsgerichte zuständig (vgl. Rachor, a.a.O.; differenzierend Finger, aaO, S. 119 f.). Da der niedersächsische Gesetzgeber somit ausdrücklich der ordentlichen Gerichtsbarkeit das Entscheidungsmonopol über die Rechtmäßigkeiteiner polizeilichen Freiheitsentziehung eingeräumt hat, sind die Verwaltungsgerichte auch nicht befugt, nachträglich die Rechtmäßigkeit einer polizeilichen Ingewahrsamnahme zu prüfen.“

Im vorliegenden Fall hat der Kläger zudem bereits beim Amtsgericht Dannenberg einen Antrag auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit seiner lngewahrsamnahme gestellt (dortiges Aktenzeichen NZS 39 XV 76/04 L). Nach telefonischer Auskunft des Amtsgerichts Dannenberg vom 14. Juli 2005 ist dieses Verfahren dort noch nicht abgeschlossen. Vor diesem Hintergrund könnte sich allenfalls die Frage stellen, ob das Verwaltungsgericht das Begehren des Klägers nicht schon als Unzulässig hätte abweisen und von einer Verweisung absehen können, da vor dem Amtsgericht bereits ein Verfahren anhängig ist. Auch dieses braucht aber nicht abschließend entschieden zu werden, weil die Begründung der Beschwerde gegen den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts - wie oben dargelegt — nicht rechtzeitig eingelegt worden ist.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens (§ 154 Abs. 2 VwGO).

Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,-- EURO festgesetzt (§ 52 Abs. 2 GKG).

Die Beschwerde wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 17 a Abs. 4 Satz 5 GVG gegeben ist.

Der Beschluss ist unanfechtbar.