Titel

AG Bremen, Beschluss vom 30.01.2012, Az. (107 Ds) 220 Js 16998/11 (174/11)
Kopfbedeckung und Sonnenbrille sind keine Vermummung i.S.v. § 27 VersG

 


Zitiervorschlag: AG Bremen, Beschluss vom 30.01.2012, Az. (107 Ds) 220 Js 16998/11 (174/11), zitiert nach POR-RAV


Gericht:

Aktenzeichen:

Datum:


Teaser

Die Straftatbestände des § 27 VersG sind eng auszulegenmüssen. Schwarze Kleidung samt Halstuch und Sonnebrille bei 12-17 Grad stellt keine unangemessene Kleidung dar. Zudem muss eine Vermummung auch subjektiv dazu dienen, die Identifizierung durch die Strafverfolgungsbehörden – und nicht wie hier durch den gewaltbereiten politischen Gegner - zu verhindern. Auch scheidet eine Bestrafung nach § 27 Abs. 1 Satz 1 VersG wegen Verstoß gegen das Waffenverbot aus, wenn ein Vorsatz, einen gefährlichen Gegenstand in Verletzungs- oder Beschädigungsabsicht mit sich zu führen, nicht zu führen sein wird.

Leitsatz

1. § 27 Abs.2 Nr. 2 VersammlG ist aufgrund seiner unmittelbaren Einschränkung des Grundrechtes aus Art. 8 Abs.1 GG im Wege der teleologischen Auslegung zu reduzieren auf eine sogenannte Vermummung mit der Absicht, nicht nur generell die Feststellung der eigenen Identität zu verhindern, sondern gerade die Identifizierung durch die Strafverfolgungsbehörden. 2. Nicht strafbar ist die Vermummung, wenn sie allein dazu dient, die Identität vor dem — womöglich gewaltbereiten — politischen Gegner zu verbergen, da dies eher der Verhinderung zukünftiger Straftaten durch diesen politischen Gegner als der Ermöglichung von Straftaten dient. Dass es bei Gegendemonstrationen gegen Versammlungen der in der Anklageschrift als Neonazi-Partei bezeichneten NPD gezielt zum Fotografieren und Filmen der antifaschistischen Gegendemonstranten kommt, um später gegen diese so identifizierten Antifaschisten vorzugehen, ist allgemein bekannt. 3. Für eine Strafbarkeit nach § 27 Abs. 1 Satz 1 VersG ist die Absicht erforderlich, einen Gegenstand, der seiner Art nach dazu geeignet ist, Personen zu verletzen oder Sachen zu beschädigen, auch in diesem Sinne zu benutzen. Dies ist bei einem Stock, an dem eine Fahne befestigt ist, nicht zwangsläufig, da dieser auch zur grundgesetzlich geschützten Meinungsäußerung benutzt werden kann.

Volltext

TENOR:

I. Die Eröffnung des Hauptverfahrens wird aus tatsächlichen Gründen abgelehnt. II. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten trägt die Staatskasse.

GRÜNDE:

Dem Angeschuldigten wird mit der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bremen vom 5.8.2011 vorgeworfen, sich nach § 27 Abs.1 S.1 und Abs.2 Nr.2 des Versammlungsgesetzes i.V.m. § 17a Abs.2 Nr. 1 des Versammlungsgesetzes strafbar gemacht zu haben, indem er sich am 9.4.2011 gegen 18 Uhr im Bereich der Straße Schüsselkorb in Bremen innerhalb einer Gruppe von 150-200 Personen aufhielt, die sich in Richtung Domshof bewegte, wo für den Zeitraum 18-19 Uhr einer Versammlung des Bremer Landesverbandes der NPD angemeldet war, wobei er bei sonnigem Wetter und einer Temperatur von etwa 20 Grad eine schwarze eng anliegende Hose unter einer kurzen schwarzen Hose, ein Sweatshirt, eine dunkle Sonnenbrille, eine schwarze Kappe auf dem Kopf und ein schwarzes Halstuch trug, welches er sich über den Mund gezogen hatte, und in der rechten Gesäßtasche ohne behördliche Genehmigung ein ca. 30-40 cm langes Rundholz mit schwarzem Stoffteil bei sich führte, das zur Verletzung von Personen oder Beschädigung von Sachen geeignet war und dienen sollte.

Ein hinreichender Tatverdacht nach § 203 StPO liegt nicht vor, da nach vorläufiger Tatbewertung die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung in einer Hauptverhandlung mit vollgültigen Beweisen nicht besteht.

1. Nach § 27 Abs.2 Nr.2 i.V.m. § 17a Abs.2 Nr.1 des Versammlungsgesetzes macht sich strafbar, wer an öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel, Aufzügen oder sonstigen öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel teilnimmt in einer Aufmachung, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern oder den Weg dorthin in einer solchen Aufmachung zurücklegt. Die Anklage wird in Bezug auf die Verwirklichung dieses Straftatbestandes auf die Angaben des Zeugen KHK N gestützt, der im am 18.4.2011 verfassten schriftlichen Tathergangsbericht angibt, er habe den Angeschuldigten in einer 3er-Gruppe zusammen mit je einer männlichen und einer weiblichen Person erkannt, als dieser ihn, den Zeugen N, ebenfalls erkannte und ihm und seinen Kollegen zurief ,,auch wieder da“. Dann habe der Angeschuldigte sich abgedreht und versucht, sich sein schwarzes Halstuch vor den Mund zu schieben und sich unter die anderen Demo-Teilnehmer gemischt. Im weiteren Verlauf habe der Angeschuldigte außer dem Tuch vor dem Mund eine dunkle Sonnenbrille und ein schwarzes Cappi auf dem Kopf getragen. Des Weiteren stützt sich der Anklagevorwurf auf den mit 27.6.2011 datierten Ausdruck des elektronischen Wetterberichtes für den 9.4.2011, nach dem es an diesem Samstag reichlich Sonnenschein und Temperaturen von Nordost nach Südwest zwischen 12 und 17 Grad, im Süden und Südwesten 16 bis 21 Grad geben sollte.

a) Nach dem sich aus der Akte ergebenden Aussagegehalt der von der Staatsanwaltschaft benannten Beweismittel fehlt es schon an der Verwirklichung des objektiven Tatbestandes des § 27 Abs.2 Nr.2 i.V.m. § 17a Abs.2 Nr.1 VersammlG durch den Angeschuldigten. Der Angeschuldigte war für die von der Staatsanwaltschaft vorgetragenen Witterungsverhältnisse nicht unangemessen gekleidet. Bei Höchstwerten um 17 Grad bzw. bei Außerachtlassung der Tatsache, dass Bremen nicht im Süden liegt, um 21 Grad ist langärmelige und -beinige Bekleidung und auch das Tragen eines Halstuches am späten Nachmittag im April nicht unangemessen, sondern vernünftig. Das gleiche gilt für das Tragen einer leichten Kopfbedeckung und Sonnenbrille bei reichlich Sonnenschein. Diese Kleidung, also die Aufmachung des Angeschuldigten, war nach den Angaben des Zeugen N schon nicht geeignet, die Feststellung seiner Identität zu verhindern, da der Zeuge ihn sogleich aus einer Entfernung von 10-15 Metern erkannt hat und ihn auch mit hochgeschobenem Halstuch im weiteren Verlauf des Tages wiedererkennen konnte.

b) Ohne dass es daher noch darauf ankommt, tragen die sich aus den von der Staatsanwaltschaft in Bezug genommenen Beweismitteln ergebenden Feststellungen auch den subjektiven Tatbestand nicht. aa) Angesichts dessen, dass der Angeschuldigte nach den Angaben des Zeugen N diesem zugerufen hat ,,auch wieder da!", kann dem Angeschuldigten nicht nachgewiesen werden, dass seine Aufmachung auf die Verhinderung der Feststellung seiner Identität gerichtet war, da er im Gegenteil sich als Bekannter des Zeugen zu erkennen gab. bb) Zudem folgt das Gericht der Auffassung, dass der weitgefasste Tatbestand des § 27 Abs.2 Nr,2 i.V.m. § 17a Abs,2 Nr.1 VersammlG aufgrund seiner unmittelbaren Einschränkung des Grundrechtes aus Art. 8 Abs.1 GG im Wege der teleologischen Auslegung zu reduzieren ist auf eine sogenannte Vermummung mit der Absicht, nicht nur generell die Feststellung der eigenen Identität zu verhindern, sondern gerade die Identifizierung durch die Strafverfolgungsbehörden [vgl. Landgericht Hannover vom 20.01.2009 zum Az. 62 C 69/08; Amtsgericht Rotenburg/Wümme vom 12.7.2005 zum Az. 7 Cs 523 Js 23546/04]. Das sogenannte Vermummungsverbot und dessen Strafbewehrung soll der Abwehr von Gefahren dienen, die sich aus der Identitätsverschleierung von Demonstrationsteilnehmenden ergibt. Diese Erhöhung der Gefahr, dass von so vermummten Straftaten aus einer Demonstration heraus begangen werden, ergibt sich nicht bereits daraus, dass die so Vermummten von niemandem erkannt werden wollen und können, sondern daraus, dass die Aufdeckung der so begangenen Straftaten durch die Strafverfolgungsbehörden durch die Identitätsverschleierung wesentlich erschwert bzw. verunmöglicht wird. Der Gesetzgeber ging bei der Einführung des sogenannten Vermummungsverbotes und des entsprechenden Straftatbestandes denn auch davon aus, dass die gesetzliche Regelung notwendig sei, da die Vermummung heute in aller Regel eine Vorstufe zum Gewaltausbruch darstelle. Soll die sogenannte Vermummung allein dazu dienen, die Identität vor dem — womöglich gewaltbereiten — politischen Gegner zu verbergen, dient diese eher der Verhinderung zukünftiger Straftaten durch diesen politischen Gegner als der Ermöglichung von Straftaten. Dass es bei Gegendemonstrationen gegen Versammlungen der in der Anklageschrift als Neonazi-Partei bezeichneten NPD gezielt zum Fotografieren und Filmen der antifaschistischen Gegendemonstranten kommt, um später gegen diese so identifizierten Antifaschisten vorzugehen, ist allgemein bekannt. Der Angeschuldigte hat sich nicht zur Sache eingelassen. Um einen Tatnachweis nach § 27 Abs.2 Nr.2 i.V.m. § 17a Abs.2 Nr.1 VersammlG zu führen, die sogenannte Unschuldsvermutung also zu widerlegen, muss aber nicht eine entsprechende Einlassung des so Angeschuldigten widerlegt, sondern der Nachweis eines entsprechenden Vorsatzes des Angeschuldigten geführt werden. Dies wird nach Aktenlage mit den von der Staatsanwaltschaft benannten Beweismitteln — auch aus den unter aa) genannten Gründen — nicht erfolgen können.

2. Strafbar macht sich nach § 27 Abs.1 S.1 des Versammlungsgesetzes, wer bei öffentlichen Versammlungen oder Aufzügen sonstige Gegenstände, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen oder Beschädigung von Sachen geeignet und bestimmt sind, mit sich führt, ohne dazu behördlich ermächtigt zu sein. Die Anklage wird auch in Bezug auf diesen laut Anklagevorwurf tateinheitlich verwirklichten Straftatbestand auf die Angaben des Zeugen KHK N gestützt, der im o.g. Tathergangsbericht angibt, in der rechten Gesäßtasche der kurzen Hose des Angeklagten habe ein ca 30-40cm langes Rundholz mit einem aufgedrehten schwarzen Stoffteil gesteckt. Des weiteren stützt sich die Anklage auf die fotografische Abbildung eines mit einem schwarzen Stoffstück versehenen Rundholz und die schriftlichen Angaben des Zeugen KOK M, es handele sich dabei nach Angaben des Zeugen N um so eine Fahne mit einem Rundholz.

Unter Zugrundelegung der sich aus der Aktenlage ergebenden Angaben des Zeugen N scheint der Nachweis in einer Hauptverhandlung, der Angeschuldigte habe einen Gegenstand in der Hosentasche bei sich geführt der seiner Art nach dazu geeignet ist, Personen zu verletzen oder Sachen zu beschädigen, wahrscheinlich zu sein. Diese — abstrakte — Geeignetheit eines Gegenstandes, Mittel zur Begehung einer Straftat zu sein, reicht aber zur Begründung der Strafbarkeit nach § 27 Abs.1 S.1 des Versammlungsgesetzes nicht aus. Dementsprechend ist für das Beisichtragen von Stöcken, Kugelschreibern oder ähnlichen Gegenständen auch nicht generell eine behördliche Erlaubnis erforderlich. Der Gegenstand muss vielmehr auch vom jeweiligen Träger konkret dazu bestimmt sein, entsprechende Straftaten zu begehen. Auch hier gilt wieder, dass ein entsprechender Nachweis in der Hauptverhandlung geführt werden muss. Dafür, dass der Angeschuldigte ein mit einem schwarzen Stoffstück versehenes Rundholz in seiner Gesäßtasche bei sich führte, um damit Personen zu verletzen oder Sachen zu beschädigen, ergeben sich aus der Ermittlungsakte keinerlei Anhaltspunkte. Ohne dass es daher noch darauf ankommt, erscheint es im Gegenteil naheliegend, dass für den Fall, dass der Angeschuldigte eine gegenüber der NPD-Versammlung ablehnende politische Haltung zum Ausdruck bringen wollte, das besagte Rundholz als Fahne und damit als ein Mittel der grundgesetzlich geschützten Meinungsäußerung des Angeschuldigten benutzt werden sollte.

3. Insgesamt wird sich der Nachweis einer Straftat gem. § 27 Abs. 1 S.1 und Abs. 2 Nr.2 des Versammlungsgesetzes i.V.m. § 17a Abs.2 Nr.1 des Versammlungsgesetzes durch die von der Staatsanwaltschaft benannten Beweismittel nach Aktenlage nicht führen lassen können.

Die Eröffnung des Hauptverfahrens ist daher nach § 204 Abs.1 StPO aus tatsächlichen Gründen abzulehnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 StPO.